Marko Ferst

Zivilisation und ökologische Rettung

- an die Lebenden und für die Toten -


I

Der Hades schäumt schon
umspült mit Hohn
das Menschengeschlecht
im Totenreich lodern
die Feste der Lava längst
Vorfreude auf Menschenfleisch
all diese Verirrten
sie wähnen sich
als Schöpfungskrone
und kommen nicht
ü ber die Bierhefe hinaus
all ihre törichten Siege
werden ihnen nichts nützen
verloren fallen sie
uns in die Arme

Licht wird weiß
grell die großen Untaten
entfacht es den Geist
für andere Lebenswege
vertreibt es die geheiligten Kühe
aus ihren saftigen Enklaven
kehren wir um
können wir noch mal
ein rettendes Ufer erreichen?
ist noch etwas umzustimmen
in eine schonendere Weltsicht?



II

Reiche stiegen auf
und gingen wieder unter
bedeckt von
neuen Lagen Geschichte
heutigen Regimen
wird es nicht anders ergehen
Aufstieg und Zerfall
blühten selbst
den hehresten Ordnungen
kann die westliche Zivilisation
den Peripherien des Anderen weichen
kehrt das Abgestoßene
in die Mitte zurück?
beginnt etwas dort
wo Wald, Flur und Wildnis
noch Bezugspunkt sind
oder fällt auch alles das
nur zum Opfer
bleiben die Verletzungen unheilbar?
Zusammenbruch



III

Vorbestimmt ist nichts
aber die Karten liegen
das Spiel scheint verloren
ist das eine Frage
oder eine Antwort?
womöglich aber doch
das eigentliche Tor
eine Schwelle
die zu überschreiten ist
wir sind so verrannt
darin noch etwas zu wenden
das ist auch richtig
ein Rest Boden
der noch verbleibt
und es ist falsch zugleich
ein System von Selbstbetrug
die Hufe der Tyrannis donnern
was ist zu tun?
nur weiter die Straße beschreiten
wo immer sie uns hinführen wird?
noch ist nicht Nichts
auch morgen und später
es ist Zeit
die sein wird
noch Menschenzeit

IV

Verstrichen
schon Vergangenheit
die Vorhersagen der Politik
von Wachstum, Fortschritt, Unersättlichem
obwohl sie noch tönen
ihre Ziele handeln mit Halluzinationen
angewiesen auf Knüppelpfade
sumpfiger Umkreis
kaum noch passierbar
werden sie sein
unbezahlbar der Preis
für das teure Fälscherhandwerk
es gerät zu organisiertem Verbrechen
speist die Folterkammern
aus absterbendem Land
Schicksalsschläge verübt
an Milliarden Menschen
jetzt ganz unscheinbar
und morgen erst tödlich
die Legenden der Politik
kommen auf hohem Roß daher
am Leben vorbei
Blüten ohne Nektar

V

Der Aderlaß ist erbärmlich
wir bereisen den Mond
vielerorts Sendboten im All
Heerscharen beforschen
immer neue Areale
höher geschichteten Wissens
doch es fehlt am Allernötigsten
selbst das Einfachste
scheitert an Mißverhältnissen
hartnäckigen Stolpersteinen
systemischen Henkerschlaufen
so leicht wäre der Hunger
aus der Welt zu verbannen
unzählige Millionen fordert er jährlich
unüberschaubare Leichenhaufen
von mehr als einer Milliarde Menschen
summieren sich in Vierteljahrhundertschritten
wann leiten wir ein
was an den Gründen des Übels hilft
all das ändert?
befreit


VI

Die Regen und die Dürren
furchen das Land auf
erst langsam und still
dann erklimmen sie die Herrschaft
ü ber irdische Lebensläufe
schlagen immer mehr ab
von den vollen Speichern
sie spielen dem Hunger
in die Hände
ins Aus die Menschen
viele Speise kommt
aus trockensten Arealen
auch heute schon
und bald wird sie gänzlich fehlen
so wie wir die Himmel dirigieren
und immer wieder beginnt
das Fliehen und Sterben

VII

Das Ungetane wird fruchtbar
die verworfenen Grenzen
richten darüber wer leben darf
und wer geopfert wird
es stauen sich auf
die Altlasten
ganze dunkle erzene Gebirgsketten
immer mehr schiebt sich zusammen
was den rettenden Pfaden entgegensteht
die Falltüren geöffnet
Treibsatz für weitere Treibsätze
und wir mit unserem Menschenverstand
ü bersehen zuviel von den Teilen
die uns am Ende umzingeln
wir verlieren alles
weil wir zuviel behalten wollen

Die kleinen Schritte täuschen
wenn in ihnen die großen Schritte
nicht angelegt sind
wir bemerkten nicht
wie wir nach hinten weichen
wo wir denken voranzuschreiten
Sauerstoff in Adern fehlt
der blau-schwarzer Staatsfäulnis
Einhalt gebietet
bürgerbewegtem Andersdenken
Auftrieb geben
sich immer wieder
neu auszurichten
auf untrügliche Hoffnungen
und festen Grund

Menschen, Systeme und Wirklichkeiten
blockieren sich gegenseitig
zu schwach der Strom
von weitem Grün
und kühnem Drang
unverdorben vom Flechtwerk
aus Macht und Beharren
und dem freundlichen Lächeln
der Dummheit
alles zu fest gespannt in Apparaten
beispiellos die Festungen
die Kräfte der Trägheit
und doch fehlt nur
ungebändigte Lebensenergie
die überwindet und unterwandert
die Gelände, Hürden und Steine
aus abgestorbenem Geist

Es wird kommen die Sturmsaat
einige von ihren Boten
kennen wir schon
nicht in ausgewachsenem Zustand
doch wie die Einschläge
und wann sie kommen,
wie sie sich verketten
bleibt überraschend
der Jahrhundertweg
wird Gericht halten
ü ber die vielen Ausreden

 

VIII

Im alten Industriezeitalter
immer weniger zählte der Bauernstand
zweifelhaft der Wert der Ackerkrume
Brot und alle Speise
rückten in unbeachtete Sphären
doch bei Blicken
zwischen allen Meridianen
hätte man es wissen können
das ohne Lebensgrund
nichts anderes darüber
errichtet werden kann
einstürzt der ganze faule Zauber
von Fortschritt und Moderne

Nur jene Hände und jenes Wissen
wie Land und Pflanzen
vor allem Schwund zu wahren sind
der stabile Halm
die richtige Sorte
der gelungene Schutz
werden sich am längsten
in den Fiebern
der künftigen Plagen halten
und doch immer lauern unberechenbar
die Heuschrecken
die Sturmschäden
eine Krankheit
trotz bester Voraussicht
so ist der Gang
der zu spät
auf Einsicht ruhte

Reife Reben
üppige Ernte
könnten Generationen nähren
unzählige Zeitalter lang
die reichen Hände der Natur
das Dorf, die Region
ein Helfen und Tauschen
auf Herz und Geist gebaut
all die Netze des Lebens
von daher entsprossen
die Streben und Strukturen
von Gesellschaft und System
gelenkt die Pfade der Waren
der Handel und die Preise
abgeleitet von menschlichen Maßen
eingebettet in die Gesetze
der irdischen Natur
inspiriert vom Kindlachen
von fliegenden Schmetterlingen
befreiten Spuren



IX

Unser Regime hier
durch und durch verbrecherisch
aufgebaut gegen die Zukünftigen
wir trinken an seinem Busen
oh wie wohl die Säfte munden
wie schön all die Wohltaten
laßt uns all die Risse ausbessern
die in den Wolkentürmen klaffen
verschont uns mit Flüchen
aber niemand will es
hinterher gewesen sein
kommt
es ist nicht die rechte Zeit
genießen wir die bunten Lichter
solange sie uns noch dienen
steigen in die dunklen Wasser
Die Züge rollen wie einst
umschließen Angst und Tränen
gebrochene Menschenschicksale
die ganze Evolution wird abtransportiert
diesmal eine Spitzenleistung
mehrerer Generationen
die aufs falsche Gleis geraten
mit Blindheit geschlagen
fast jegliche Korrektur verweigern
kommt ihr Feiglinge
versteckt euch nicht dahinter
das Hitlers Todeslager
unvergleichlich sind
wir überbieten sie gerade
um mehrere Größenordnungen
bauen am neuen globalen Auschwitz
wir teilen jetzt auf
den Besitz der Kinder
und ihrer Kinder
so wie einst von Juden
und allen anderen angeblich Unwerten
geraubt wurde
was zu erraffen war
ein Vorteil der auch
viele Letzte noch erreichte
leichte Beute
Ernte, Wasser, Boden und Luft
die künftigem Leben anvertraut wären
alles geht auf in Rauch
seht wie wir sie
auf die Rampen drängen!
seht wie wir Massenmörder sind!
die Jahrmillionenschuld
in unserem Tagwerk brennt
Strähnen am Himmel blutrot

Reißen wir die Todesfabriken
aus allen Angeln
herunter mit der ganze Maskerade
stoppen und stellen wir
alles das was zerstört
vertäuen die notwendigen Antworten
mit neuen Ufern
das uns das Rettende auch wächst
nicht das Chaos alles umhüllt
die Heimstatt wegrutscht
immer tiefer
von einer Gefahr
zur nächsten Stromschnelle
immer undurchdringlicher wird
der Pfad

All die Kanzler und Konzerne
dieses Regieren in den Abgrund
gehört auf ein Tribunal
in Nürnberg oder anderswo
aber auch jeder einzelne
sitzt dort mit seinem Bündel
auf der Anklageband
keine Hetzjagd
aber auch Ablaßhandel
darf nicht mehr geduldet werden
die versagte Verantwortung
muß gerichtet werden
klar und unmißverständlich
niemand soll sich rausreden können
die Hauptverantwortlichen
gehören hinter Gitter
Anklagepunkt:
Völkermord

X

Unerbittlich
die neuen Maße kommen
brechen jedes Menschenwerk
der Möglichkeiten sind viele
unzählige weiße Areale
kaum jemand ahnt sie
schon lange testen wir
Methan zieht seine Kreise
aus Permafrost und Meeren
Glut wird der Planet
oder der Golfstrom erliegt
Schneezonen drängen von Nord
oder die wärmeren Meere öffnen sich
nehmen nicht mehr auf
sondern geben ab Kohlendioxid
oder grüne Gürtel werden gelb
so viele offene Tore
ungeklärte Verkettungen
schon viele Jahre
sind wir zu spät
auf leisen Sohlen
nur ab und zu mit lauten Tönen
dem Donner erster Einschläge
näher rückt der Supergau
diese Zivilisation hinweggefegt, ausradiert
bis auf die Grundmauern,
ü berweht mit mineralischer Zeit
wie fest steht das schon?
glauben wir nur noch an
unsere ungedeckten Schecks?

In die Landkarten
zeichnen sich neue Konturen
Kontinente und Landschaften brechen um
Staubernte und Pflanzentod
vielleicht nehmen
Sibirien und Kanada
Gestrandete auf
ernährt von Gaben
getauter Erde
wo noch mögen die Oasen liegen
hoch oben auf Bergen
bei fruchtbaren Böden
die gigantischen Völkerwanderungen
könnten selbst dort noch
die Gleichgewichte zermalmen
falls sie noch nicht
entglitten sind

Katakomben sollten wir bauen
laßt nicht die Bücher
und Kunstschätze untergehen
in den Dünen und Schlammfluten
verbrennt nicht diese Werte
vielleicht gibt es einmal Geschlechter
die anders beginnen können
und unsere Fehler vermeiden
alles was Computer speicherten
wird unwiederbringlich verloren sein
bereitet es vor
damit bewahrt wird
falls es etwas zu bewahren gibt
in den stählernen Brüchen


XI

Minderheiten sind gefordert
sie wechseln die Seite
bauen Boote für die neue Zeit
pflanzen die Saat, den Geist
für den Aufbruch
aus unseren Totenreichen
bereiten den Boden
für generationsübergreifende
Gerechtigkeit und Demokratie
das Bewußtsein für Lebensorte
die vom Herzen her
eingerichtet sind
Keimzellen für eine Gesellschaft
die nicht in den Zugspannen von Renditen
das Eigentliche vergißt:
schöpfen für Leben

Die Gründe und Elemente
müssen reifen und wachsen
für eine große Volksrevolution
gegen die plutokratischen Wirrnisse
neoliberalen Spukstädte und Dunkelmänner
Lichtgestalten für eine grüne Perestroika
alles nach menschlichen Maßen
nicht entlang der größten Schwächen
sondern dem besten
was Menschengeschlechter
hervorgebracht haben
stürzen das alte Delirium
und gründen einen Erdenkreis
der uns rettet
ü ber alle Niederung hinweg
in göttlicher Spur
und über sie hinaus
doch irdisch angebunden
mit allen Sinnen im Leben
eine Volksbewegung

Wir brauchen
den sichtbaren Bund
den Arm des anderen
die Umkehr in uns selbst
den Abschied vom treuen Glauben
die vertrauten Schlüsse
werden auseinanderbrechen
wegschwemmen die Gewißheiten
in die wir letztlich
immer noch vertraut haben
kaum bewußt
allein wird jeder stehen
in weiter Flur ohnehin



XII

Die Sperren und Gitter
sie werden vorrücken
einnehmen wollen
was sich einzwängen läßt
immer tiefer eindringen
in die Seelen
wenn nicht widerstanden wird
Gegenmacht aufbegehrt
zerbricht die Logik
der neuen Diktaturen
wie immer sie sich
verstellen mögen
den Raum ausloten
abseits von Nimmersatt
und Notstandsjunta
demokratisches Areal
und Würde bewahren
noch ein letztes Mal verhindern
ein grausames Finale
neuartigen Totalitarismus

Dem bereits festgesetzten Anteil
an Schicksalsschlägen
kann nur hinzugefügt werden
der kluge Entscheid
im Lauf der Naturgesetze
nicht nur die lebendige Arbeit
auch Seherinnen und Seher
sind unerläßlich
in den schwarzen Zeiten
dem Dunkel und den Ruinen
den Brandspuren
weltumspannender Bürgerkriege
oder dem was Staaten
noch untereinander
auszubomben haben

Janusköpfig kann ausfallen
mit solaren Kräften
und ökologischem Budget
die Lebensdauer zu verlängern
wer wollte den Erfolg bestreiten?
doch an den Abbruchkanten
kann es das Leiden ausdehnen
ü ber Jahre und Maße hinaus
doch niemand kann vorhersehen
die Resultate und Fallstricke
das Unwägbare
und wie wir uns heute irren
wenn wir etwas wissen wollen
man bleibt ein Narr


XIII

Es gibt keine Stunde Null
die Endzeit beflügelt
keine Wunderepochen
alles nur Truggestalten
etappenweise der Abbau
ein kurzes Aufbäumen
dann und wann
wenn der Atem reicht
Sterbefelder
soweit das Auge reicht
Kinder, Frauen, Männer,
vielleicht bleiben zwei oder drei
von zehn oder mehr Milliarden
wenn es einen gerechten Kulturkampf gibt
wie nie ein Geschlecht
für Anstand und Wahrheit stritt
doch all dies verbleibt
entlang der Kammern und Öfen
den Brandstätten
unserer antiquierten Ordnungen
den Siegesdaten von gestern
den Stacheldrähten
ausgelegt von den
Mächtigen und der Masse
jetzt und vormals

Es fehlt das Panorama
wie alles sich fügen könnte
in den neuen Ebenen
wie das Göttliche
ins Irdische geflochten
wie die Menschen
zu neuen Ordnungen kommen
die nicht den Quellen
des Mißlingens entspringen
wo der Fehler korrigiert
neue Weitsicht stiftet
Menschen in Vielzahl
in ausgewogenen Systemen und Strukturen
zum wirklichen Menschsein
sich empor tragen
Schlüssel finden für Auswege
entfliehen den Versteinerungen
die Aufstiegsbahnen versperren
suchen nach Rettendem
sendet Licht!

Quelle: Marko Ferst, Republik der Falschspieler. Gedichte




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