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Zettelkasten
Aus: Die Grünen. Verstaatlichung einer Partei
PAUL TIEFENBACH
Der Wahlerfolg, nicht die Durchsetzung politischer Ziele, wird zum
Erfolgkriterium. Wahlerfolge und politische Zielsetzungen werden in eins
gesetzt. Das zwischen beiden ein Zusammenhang besteht, ist sicherlich
zutreffend. Das dieser Zusammenhang aber wesentlich komplexer ist als
die einfache Gleichsetzung, und daß mitunter Wahlerfolge gerade
die Aufgabe politischer Ziele erfordern, wird verdrängt.
Der alleinige Blick auf die programmatische Kontinuität täuscht.
In keiner Partei, auch nicht bei den Grünen, spielt das Parteiprogramm
eine nennenswerte Rolle.
Parteien sind nicht egalitäre Vereinigungen Gleichgesinnter,
was die Grünen anfangs werden wollten. Sie sind aber auch nicht mehr
durch die Dichotomie von Elite und Basis geprägt. In der Tendenz
sind sie nur noch Elite. Die Mitglieder werden kaum mehr gebraucht.
Es gibt zahlreiche Angestellte, Michels spricht von Parteibeamten,
die von der Partei leben. Nach einiger Zeit tritt für sie der Erhalt
ihrer Lebensgrundlage in den Vordergrund die politischen Ziele
dienen lediglich noch als Mittel, den Erhalt der Organisation zu sichern,
was zum neuen zentralen Ziel wird. So wird die Organisation aus
einem Mittel zum Zweck zu einem Selbstzweck.
Das Führertum verfestigt sich, es entsteht eine relativ stabile
Führungsgruppe in der Partei, die sich durch Kooption erneuert. Damit
ist gemeint, das die Führung versucht, das Eindringen ihrer Meinung
nach ungeeigneter Personen in die Führungsgruppe zu verhindern. Sie
wählt selbst aus, wer zur Führungsgruppe gehören soll.
Diese Führungsschicht, die Parteielite, wird nach und nach in die
politische Klasse ihres Landes aufgenommen. Die ihr angehörigen nehmen
als Abgeordnete oder gar Minister an allen Privilegien teil, die die politische
Klasse genießt. Dies macht sie versöhnlich, sie entwickeln
Verständnis für die Probleme und Nöte der politischen Klasse.
Die Probleme der sozialen Schicht, der sie entstammen, geraten mehr und
mehr in Vergessenheit.
Die Berufspolitiker sind überlegen. Und sie sehen gar nicht
ein, warum sie diese Überlegenheit nicht auch ausnutzen sollten.
Freilich verfügten die Grünen in ihrer Frühphase flächendeckend
über Organe, die geeignet waren, diese Probleme spürbar zu verringern:
die Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaften. ... Grüne Funktionäre,
einfache Mitglieder und Nichtparteimitglieder kooperierten hier. Dies
änderte sich mit dem Entstehen der Fraktionen und des Berufspolitikertums.
Die Abgeordneten agierten zunehmend als politische Unternehmer.
Sie hatten die Stärkung ihrer eigenen Dominanz auf dem Markt des
politischen Handelns im Sinn, nicht aber, sich politische Konkurrenten
selbst heranzuzüchten. Sie betrauten mit Aufgaben lieber ihre weisungsgebundenen
Mitarbeiter, als eine Basisgruppe zu beteiligen, die die basis-demokratischen
Regelungen oft so auslegte, daß sie gegenüber den Hauptamtlichen
weisungsbefugt war. Dies Problem stellte sich um so mehr, wenn die Facharbeitsgruppe
was oft der Fall war zum fundamentalistischen Flügel
neigte, die Hauptamtlichen dagegen zum realpolitischen. Abgeordnete und
ihre Facharbeitsgruppen trafen dann in innerparteilichen Auseinandersetzungen
als politische Gegner aufeinander. ... Da, wo Abgeordnete in den Arbeitsgruppen
mitarbeiteten, spielten sie nach kurzer Zeit eine dominierende Rolle.
Das lag meist weniger an ihrer fachlichen Überlegenheit.
In besonders hohem Maße sind die Abgeordneten Lob und Tadel
des Gegners in den parlamentarischen Ausschüssen ausgesetzt. Kleinere
Fraktionen dürfen oft nur einen Abgeordneten in den Ausschuß
schicken, der dort völlig auf sich allein gestellt ist. Er kann sich
auch nicht darauf beschränken, so wie im Plenarsaal eine vorbereitete
Rede abzulesen, sondern muß, wenn er eine abweichende Meinung äußert,
mit einer Art Kreuzverhör rechnen. Seine Gegner sind dabei Abgeordnete,
die dem Ausschuß oft schon Jahrzehnte angehören und zudem noch
durch Beamte, die beruflich nichts anderes machen, unterstützt werden.
Es gehört viel Vorbereitung und viel Mut dazu, sich hier überhaupt
auf eine kontroverse Debatte einzulassen.
[Der Abgeordnete] weiß nach einigen Jahren Parlamentstätigkeit
genau: wenn er dieses oder jenes sagt, geht ein Raunen durch den Saal.
Zwischenrufe wie Das gibts doch wohl nicht oder Wo
leben sie eigentlich? bringen ihn womöglich aus dem Konzept.
Formuliert er die Dinge dagegen etwas milder, verzichtet auf die ein oder
andere Spitze und baut stattdessen einige scheinbar bedeutungsschwere
Phrasen ein, kann er mit Szenenapplaus und freundlichem Kopfnicken rechnen.
Lob und Anerkennung des Gegners führen auf diese Art zu einem Abschleifen
der Kritik und zur Anpassung der Meinungen im Parlament.
Das Hinzutreten der Verwaltungsperspektive ist zunächst eine
Erweiterung des Horizonts, eine wichtige zusätzliche Qualifikation.
Das Problem besteht darin, daß dieser Zustand, beide Welten zu kennen,
mit der Dauer der Parlamentszugehörigkeit in der Regel abnimmt und
die Verwaltungsperspektive die dominierende oder sogar die einzige Sichtweise
wird. Sie erscheint nämlich dem neuen Abgeordneten als die konkretere
und daher höherwertige.
Aber gerade der offensichtliche Drang nach Regierungsbeteiligung
schwächt die Verhandlungsposition in Koalitionsgesprächen. Die
anderen Parteien spüren, daß die Grünen [PDS] zu jedem
Kompromiß bereit sind, um in die Regierung zu kommen - und nutzen
dies weidlich aus.
Hofften in früheren Jahren die Jusos, die SPD von innen heraus
zu verändern, so hoffen jetzt viele enttäuschte Sozialdemokraten
auf die Grünen als radikal verändernde Kraft. Andere wiederum
sehen in der PDS eine neue Chance für die Linke. Auch der Drang,
ganz neue Parteien oder Wählerlisten zu gründen, ist ungebrochen.
All diese Versuche sind sinnlos, soweit sie sich auf eine qualitative,
grundlegende Veränderung der Politik richten. Die Grünen werden,
abgesehen von zeitweiligen taktisch motivierten Varianten, ihre Integration
in die politi-sche Klasse konsolidieren. Hatten die Grünen diese
Integration schon schneller bewältigt als die SPD, so deutet alles
darauf hin, daß die PDS diesen Weg in noch kürzerer Zeit zurücklegen
wird, sofern ihr der Wähler eine Chance dazu läßt.
(1998)
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