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Die Welt im Soja-Wahn
Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
Seit mehr als vier Jahrzehnten ist Soja sprichwörtlich in aller
Munde. Sei es – als Futtermittel – im Schweine- oder Rindersteak,
als Butter, Hühnerei und Putenschnitzel, sei es direkt als Soja-Milch,
Tofu, Miso und Sojasoße oder als Rohstoff in Margarinen, Fleisch-
oder Käse-Imitat und in Tausenden von anderen Produktion der erfindungsreichen
Nahrungsmittelindustrie. Von der Schokolade bis zur Tütensuppe,
von der Eiscreme bis zur Semmel: Soja-Bestandteile wie Lecithin, Sojaöl
oder Sojamehl stecken fast überall drin, ohne dass wir es wissen.
Selbst im „traditionellen“, den Franzosen eigentlich heiligen
Baguette, ist Sojamehl zugelassen. Doch nicht nur in Lebensmitteln ist
Soja allgegenwärtig. Inhaltsstoffe der an Eiweiß reichen Wunderbohne
finden ebenso in vielen technischen Produkten wie Farben und Lacke Anwendung.
Auch in Dynamit (TNT) kann Soja-Glyzerin stecken.
Der Löwenanteil der jährlich über 200 Millionen Tonnen
weltweit geernteten Sojabohnen landet seit Jahrzehnten allerdings in
den Futtertrögen. Über 60 Prozent der global verwendeten Eiweißfuttermittel
ist Sojaschrot. Für einen Liter Milch werden durchschnittlich 50
Gramm Soja, für ein Kilogramm Schweinefleisch 540 Gramm Soja und
für ein Kilogramm Rindfleisch gar fast die gleiche Menge an Soja
(920 Gramm) als Futtermittel benötigt. Ohne Massen von importiertem
Soja als Mastfutter ist Nordamerikas, Europas, Chinas und Japans tierquälerische
Massentierhaltung kaum denkbar. So auch in Deutschland. Nach Berechnungen
des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) nimmt der derzeitige
Sojabedarf der deutschen Tierproduktion rund 28.000 Quadratkilometer
(2,8 Millionen Hektar) Anbaufläche in Übersee ein – und
damit eine Fläche größer als Mecklenburg-Vorpommern sowie
dem Saarland. „Unsere Kühe weiden am Rio de la Plata“ – Mit
diesem nach wie vor gültigen Spruch haben bereits vor gut 20 Jahren
Entwicklungsorganisationen auf die Problematik der Futtererzeugung für
deutsche Milchkühe in Brasilien hingewiesen. Geändert hat sich
nichts.
Die ökologischen und sozialen Folgen sind dramatisch: In Lateinamerika
wurden Millionen von Hektar artenreiche Trocken- und Regenwaldgebiete,
Naturweiden und kleinbäuerliche Kulturräume für Soja vernichtet,
Tausende von Menschen aus ihren traditionellen Lebensräumen vertrieben,
Dutzende von Flüssen mit Pestiziden verseucht.
Früher richtete sich
die Kritik am Soja-Anbau in Lateinamerika noch hauptsächlich daran,
dass die eiweißreichen „Wunderbohnen“ nur
an Tiere verfüttert werden und nicht zur direkten Bekämpfung
des Hungers in Welt dienen. Nicht zur Debatte stand der von der Soja-Lobby über
Jahrzehnte hinweg clever aufgebaute Mythos der China-Bohne als gesundes
Nahrungsmittel für jung und alt und als idealer Fleischersatz für
Vegetarier. Doch seit einigen Jahren entzaubern wissenschaftliche Studien
zunehmend diesen Soja-Gesundheitskult. Statt uns vor Krebs, Herzanfall
oder Menopause zu schützen, scheint der regelmäßige Konsum
moderner Sojaprodukte eher das Gegenteil zu bewirken.
Während sich diese Kritik und Skepsis gegenüber den gesundheitsfördernden
Eigenschaften der Sojabohne in deren bisherigen Hauptverbraucherregionen,
den USA und Europa, nach und nach mehr Raum schafft, weitet das Agrobusiness
die Monokulturen unbekümmert aus und schafft sich neue Absatzmärkte
vor allem in den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern.
Nicht Europa, sondern China ist heute der größte Importeur
von Soja aus den USA und Lateinamerika. Gleichzeitig schickt sich die
mächtige Soja-Lobby an, nicht nur neue Absatzmärkte, sondern
auch neue Anbaugebiete in Paraguay, Bolivien aber auch in den afrikanischen
Flächenstaaten Angola und Mosambik zu schaffen.
Verarbeitet als Biodiesel
soll Soja-Öl nun das Klima retten, und
die Verbreitung der Massentierhaltung auf Basis von Sojaschrot soll den
Amazonasregenwald vor der Abholzung bewahren. Selbst der wachsende Hunger
in der Welt dient dem Agrobusiness heutzutage als „Verkaufsargument“. „Nachhaltig“ angebautes
Gen-Soja soll es möglich machen, die weltweit knapp eine Millarde
hungernden Menschen zu ernähren.
Höchste Zeit also für ein Buch über Soja, das kein Blatt
vor den Mund nimmt! Auf dem Spiel stehen nicht nur Artenvielfalt und
zahlose bäuerliche Existenzen, sondern ebenso die Gesundheit von
Millionen von Menschen. Dabei geht es nicht darum, die Bohne aus Ostasien
mit Stumpf und Stiel zu verdammen, sondern sie wieder auf ihren rechten,
eher bescheidenen Platz im menschlichen Nahrungsspektrum zu rücken,
wo sie seit Anbeginn ihrer Nutzung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
hingehörte.
Suchanek, Norbert
Der Soja-Wahn
Wie eine Bohne ins Zwielicht gerät
2010. 96 S. 15 cm. Deutsch, 8,95 €
Verlag: Ökom
ISBN: 9783865812162
www.oekom.de
www.umweltdebatte.de
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