Schwarze Prophetie

 

MARKO FERST

 

Seit rund zwei Jahrzehnten erweisen sich immer wieder die pessimistischsten Umweltprognosen als die zutreffendsten, wenngleich sie im ohrenbetäubenden Lärm rastloser Geschäftigkeit untergehen und nur selten die Bewußtseinsschwelle durchbrechen, konstatiert Herbert Gruhl in seinem neuen Buch "Himmelfahrt ins Nichts".

Die Werbeindustrie zeigt es uns: Immer mehr Produkte, die heute hergestellt werden, bekommen das Prädikat "ökologisch" umgehängt. Ökonomie und Ökologie bilden keinen Gegensatz, sie müßten vielmehr harmonisch ineinandergefügt werden. Wirtschaftliches Wachstum ist geradezu geboten, denn Umweltschutz kostet jede Menge Geld. Diese Fortschrittsideologie, die als Umbau der Industriegesellschaft gefeiert wird, hält Gruhl für eines der vielen Flammenzeichen, die den Untergang der Gattung Mensch anzeigen. Diesen nämlich hält er für unvermeidlich.

Gruhl meint, wer auch immer eine ökologische Rettungspolitik versuchen würde, drastische Einkommenskürzungen, teurere Waren und größere Arbeitslosigkeit wären die Folge. Es gibt keinen klugen Verzicht, denn der würde den völligen Ausstieg aus der heutigen Konsumgesellschaft bedeuten. Eine Regierung, die nur den Anflug eines Versuches dazu unternehmen würde, wäre binnen kürzester Zeit abgesetzt. Für ein tatsächlich ökologisches Leben ließen sich nur versprengte kleine Minderheiten finden, die von den uneinsichtigen Massen niedergewalzt würden, sofern es ihnen überhaupt gelänge, sich politisch einzubringen.

Nun ist es sinnlos zu bestreiten, daß die Chancen für eine alternative Kultur gegen Null tendieren. Das würde aber heißen, man und frau müßte sich gründlichst darüber Gedanken machen, wie konsequente Notstandspolitik aussehen könnte. Der Abgang der Gattung Mensch, so makaber das klingt, verlangt letztlich hohe Kunst in der Politik. Wie können die schlimmsten Exesse verhindert werden? Doch das kümmert den ehemaligen Parteivorsitzenden der ÖDP wenig.

Vermutlich wird es in den nächsten Jahrzehnten immer mehr solcher unproduktiver Untergangspropheten geben, selbst in Reihen, wo heute noch der stramme Fortschrittsglaube regiert. Es ist einfach bequemer, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Mensch braucht sich nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, wie eine Reformpolitik aussehen könnte, die zu einer Gesellschaft führt mit niedrigsten Material- und Energieverbräuchen. Wer überhaupt aufgibt, Wege aus unserer Todesspirale zu suchen, der hat von vornherein verloren. Wäre es nicht schon eine lohnende Aufgabe, den drohenden Crash der Naturgewalten "wenigstens" abzumildern? Jedoch könnte dies allerdings auch janusköpfige Auswirkungen mit sich bringen, wenn man dann als Gattung zwischen akutem Notstand und Selbstauslöschung gefangen ist.

18.10.1994, Neues Deutschland, Org./ 12/1994 "Rabe Ralf", Umweltzeitung


Herbert Gruhl; Himmelfahrt ins Nichts. Der geplünderte Planet vor dem Ende; Langen Müller Verlag 1992, 432 S.


Herbert Gruhl: mehr Informationen