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Bahros Logik der Rettung
FRANZ ALT
Robert Jungk hat das neue Buch seines Freundes Rudolf Bahro "ge-fährlich"
genannt. Überschrift seiner geharnischten Kritik in der taz: "Sein
Kampf". Doch: Jungks "Menschenleben" ist nicht weniger
ge-fährlich. Haben wir nicht genug ungefährliche Bücher?
Rudolf Bah-ro ist ein gefährlicher Anstifter und begnadeter Provokateur.
Seine "Alternative"-Ost hat ihm vor zehn Jahren Gefängnis
und Ruhm ein-gebracht. Seine Alternative-West halte ich für noch
origineller und wichtiger.
Wer wie Bahro in der Ökopax-Bewegung der achtziger Jahre ganz unbekümmert
"die erste deutsche Volksbewegung seit der Nazi-Bewegung" sieht,
wer von einem "Gottesstaat" und einem "House of The Lord"
träumt, wer Europäern und Amerikanern "Entwicklungshilfe
in Spiritualität" aus Indien und Tibet empfiehlt, wer einen
"Fürsten der ökologischen Wende" und einen "politischen
Propheten" herbeisehnt, setzt sich natürlich links wie rechts
Mißverständ-nissen, Widersprüchen, Gelächter und
Angriffen aus. Bahro tut dies leichten Sinnes, aber nicht leichtsinnig.
Er ist viel zu gescheit, um nicht zu wissen, wie man provoziert. Selbstverständlich
kann er zwischen grün und braun unterscheiden. Viele Kritiker werden
dennoch mit deutschem Bierernst auf Bahros Provokationen hereinfallen
- links noch mehr als rechts. Robert Jungk ist da nur ein Vorläu-fer.
Aber alte Begriffe sind nicht deshalb indiskutabel, weil sie belastet
sind. Wir vermeiden häufig Begriffe nur, weil wir damit unsere Komplexe
pflegen. Auch Auschwitz kann zum Komplex werden und führte zu einem
absurden, illiberalen Gesetz gegen die "Auschwitz-Lüge".
Bahro macht Front gegen die modisch gewordenen Apokalyptiker. Die wichtigste
Erkenntnis seiner Jahre in der Bundesrepublik: Die Wende der Totrüstung
und Kaputt-Industrialisierung ist möglich, wenn sie von unten gewollt
wird. Die "Megamaschine" - das, was heute industriell, militärisch
und im Konsumverhalten so läuft - wird nicht von oben, sie kann nur
von unten gestoppt werden. "Nach wie vor fehlt uns aber die entscheidende
Voraussetzung zur Rettung, der Wille zur Umkehr." Es ist natürlich
viel einfacher an "die Zuständigen" zu appellieren, als
sich selbst zuständig zu fühlen. Bahro analysiert die Logik
der Selbstausrottung realistisch und konstruiert eine "Logik der
Rettung", indem er sie bis ins menschliche Herz zurückverfolgt.
Er hat von Einstein und von Jesus, von Buddha und von Feministinnen, vor
allem aber von Lao-Tse gelernt: Das eigentliche Problem ist immer das
menschliche Herz. Also Um-Denken reicht nicht, viel mehr ist gefordert:
Um-Fühlen als Voraussetzung eines "Neuen Denkens". Bahro
ist einer der wenigen politischen Autoren deutscher Sprache, die begriffen
haben, daß das, was "oben" läuft, nur Ausdruck dessen
sein kann, was "unten" ist. Wir haben - zumindest in den westlichen
Demokratien - immer die Regierungen, die wir verdienen Wir haben sie schließlich
mehrheitlich gewählt. Die Umwelt-Krise ist Ausdruck unserer ganz
persönlichen Innenwelt-Krisen. Ich weiß von der Kritik an meinem
"Frieden ist möglich", daß die Strukturkonservativen
ebenso wie die materialistischen Linken nichts mehr aufregt als die "Umkehr
der Herzen", die Bahro fordert. Das geht ans Eingemachte, da ist
Schluß mit der Zeigefin-ger-Ethik auf "die da oben". Da
beginnt die schlichte Erkenntnis aller Religionsstifter: Die Welt ändert,
wer sich ändert! Man muß natürlich selbst nichts tun,
wenn man nichts tun können will. Damit ist Bahro Biedenkopfs "Neuer
Sicht der Dinge" näher als Peter Glotzens intellektualistisch
aufgepäppeltem Sozialismus für neureiche Zahnärzte. Bahros
Credo heißt: "Mit der Einsicht in die Mitverantwortung für
die Selbstzerstörung fängt ein politisches Verhalten, das rettend
sein kann, gerade an".
Mit Ken Wilber meint Rudolf Bahro, wir hätten jetzt "Halbzeit
der Evolution". Nun sei eine "anthropologische Revolution",
ein "Bewußtseinssprung" nötig. Und dieser vollziehe
sich nicht nur in den neuen sozialen Bewegungen der letzten Jahre, sondern
auch in vielen konservativen Kreisen, freilich nicht an Kirchen- oder
konservativen Parteispitzen. Wer sich im konservativen Milieu der Republik
etwas auskennt, wird nicht widersprechen. Bahros Analyse unserer Totalkrise
stimmt. Wenn atomare Vernichtung jeden Tag möglich ist, wenn Wälder
sterben, Luft, Wasser und Boden zunehmend vergiftet werden, wenn Arten
aussterben, wenn Millionen verhungern und das Ozonloch immer größer
wird - ist dann die Krise nicht total? Wenn Teilprobleme schon gigantisch
sind - erfordert dann die Therapie nicht radikale Lösungen?
Aufregend ist jener Teil an Bahros Therapievorschlagen, in dem er als
Voraussetzung für das Überleben ein neues Verhältnis von
Frau und Mann skizziert. Er zitiert zustimmend eine Moskauerin, die nach
Tschernobyl gesagt hatte: "Wenn da oben im Politbüro eine Frau
säße, die das Leben kennt, dann wurde man uns wenigstens bei
der Auswahl der Lebensmittel helfen. Männer denken gar nicht an das
Leben, sie wollen nur die Natur und den Feind bezwingen. Was immer es
koste". Was immer es koste! Es ist richtig, daß uns hauptsächlich
die Kriegerpsychologie des weißen männlichen ich an den heutigen
Abgrund geführt hat. Die klassenkämpferische Behandlung der
Geschlechterfrage nennt Bahro zu Recht eine "Erkenntnisbremse".
Sexistischer Klassenkampf ist jedoch weit schlimmer. Die Alice Schwarzers
von gestern sind schon längst keine Hilfe mehr. Sie be-kämpfen
den Drachen gar nicht, sie trainieren ihn eher. Sie sind keine wirklichen
Überwinder des Patriarchats, sondern dessen unbewußte Komplizen
- siehe die lieblose Abtreibungsdiskussion zu Lasten der Ungeborenen.
Auch Rudolf Bahro klammert diese Ur-Frage an eine Politik der Ehrfurcht
vor dem Leben aus. Wer aber eine "neue spirituelle Praxis" im
Zusammenleben von Mann und Frau meint, wer das "spirituelle erotische
Paar" proklamiert, darf die hunderttausendfache Abtreibungspraxis
der reichen Gesellschaften nicht verdrängen.
Die alte Erkenntnis ist noch immer gültig: Es gibt keine Liebe und
keine "Liebeskultur" (Bahro) ohne Treue. Die Treue ist die Nagelprobe
- im Privatleben wie in der Politik. Alles andere sind die immer gleichen,
meist männlichen Ausflüchte vor Konsequenz, Reife und Selbsterkenntnis:
Ego statt Selbst, Seelchen statt Seele, Sentimentalität statt Liebe.
Der alte Macho in uns wird es vielleicht niemals ganz wahrhaben wollen:
Einer Kultur der Liebe und einer Politik des Friedens kommen wir nur näher,
wenn Männer nicht über immer neue Frauenleichen gehen und Frauen
sich endlich weigern, weiterhin die Opfer unreifer Männer zu sein.
Es gibt keine Liebe ohne Liebesarbeit. Das Wort Liebe ist ein Schlüsselwort
für Bahros "Logik der Rettung". Aber die Worte Treue, Partnerschaft
und Ehe meidet er wie der Teufel das Weihwasser.
Bonn ist nicht Weimar. Aber: Weimar ging unter, weil es keine Antwort
auf die soziale Krise finden konnte. Scheitert Bonn, weil es keine Antwort
auf die ökologische Krise findet? Wenn unter der Herrschaft konservativer
Parteien die Schöpfung weiter kaputtgeht, dann werden in wenigen
Jahren die konservativen Parteien kaputt-gehen. Das "C" ist
ohnehin schon zu einem Gottesdienst-Ritual auf Parteitagen verkommen.
In dieser Situation ruft Bahro nach der Doppel-Kandidatur eines inspirierten
Politikers und eines politischen Propheten. "Beide müßten
von konservativem Persönlichkeitszuschnitt, aber nichtautoritärer
Charakterhaltung sein." Der Autor verdrängt die Nazi-Greuel
nicht, aber er sieht - in der Schule C. G. Jungs - auch die Chance jeder
Krise, auch der braunen. Er glaubt an die Lernfähigkeit der Deutschen
und meint, eine neue deutsche Bewegung könnte zu etwas Besserem führen
als die alte. "Kein Gedanke verwerflicher als der an ein neues anderes
1933?! Gerade der aber kann uns retten."
Wer nur ein Wort dieses Schlüsselzitats überliest oder überlesen
will, wird aufschreien müssen. Aber dieser Aufschrei sagt dann viel
über die Verdrängungen dessen, der aufschreit. Den Hitler in
uns wollen wir immer noch nicht wahrnehmen. Ich teile Bahros Meinung nicht,
daß das heutige parlamentarisch-demokratische System die ökologische
Herausforderung grundsätzlich nicht lösen kann. Wir brauchen
realistische Propheten, aber warum nicht im heutigen System? Wir bekommen
im jetzigen Rahmen morgen andere Repräsentanten, wenn sich die Repräsentierten
heute zu ändern beginnen. Andere Menschen, nicht andere Institutionen
schaffen eine andere Welt. Der alte Sozialist Bahro läßt noch
immer grüßen! Wer hat den Deutschen Bundestag zum Beispiel
1983 denn daran gehindert, über die Nachrüstung anders zu entscheiden
wie geschehen? Die Sturheit der Nachrüster ändert sich nicht
durch eine andere Institution, sondern durch andere Wahlentscheidungen
und viel mehr Druck von unten.
Unabhängig von den Institutionen heißt die Logik der Rettung:
haushalten statt ausbeuten. Die alte, fatale Richtung heißt: Mehr
Waffen, mehr Energie, mehr Straßen, mehr Produktion. Mut zur Umkehr
würde bedeuten: weniger Energie, weniger Waffen, weniger Chemie,
keine Atomkraftwerke, kein Wackersdorf. Das alles sieht Bahro auch, aber
indem er neue Institutionen zur Vorbedingung macht, verwässert er
seinen eigenen radikalen Ansatz von der "Umkehr der Herzen".
Deshalb spricht er im zweiten Teil seines Buches merkwürdig unkonkret
vom "Gottesstaat", vom "House of The Lord", vom "Kaiserraum",
von einer "unsichtbaren Kirche", von einer neuen "Gemeinschaft
der Heiligen" oder auch davon, daß sich "institutionell
etwas ereignen" wird. Das kann ja sein. Aber ist das so wichtig,
daß man darüber 140 Seiten schreiben muß, ohne konkret
zu werden? Beispiel: "Aber das Oberhaus einer Gesellschaft, die das
ökologische Gleichgewicht wiedergewinnen will, muß Gottes Stimme
sein, muß die Stimme der Gottheit sein (die heute nur angemessen
ausgedrückt werden kann, wenn ein gewisses weibliches Übergewicht
in der neuen Institution gesichert wird)". Daß Rettungspolitik
weiblicher sein muß und dem Leben und der Natur näher, kann
man auch einfacher sagen!
Ich empfehle das Grundsatzprogramm der Ökologisch-Demokratischen
Partei des Herbert Gruhl als beispielhaft einfache ökologische Lektüre.
So etwas können Durchschnittsmenschen, die sich mehr Zeit für
ihre Kinder nehmen als für dicke Bücher, dann auch besser verstehen.
Ich empfehle auch, lieber Rudolf Bahro, das Ernstnehmen von Frauen ohne
Abitur als Hilfe für Einfachheit. Wenn wir nicht werden wie die Kinder
... Richtig erkennt Bahro: "Das Volk (mehrheitlich ohne Abitur, Herr
Autor!) ist inzwischen bereit, tiefgreifende, ökologische Rettungsmaßnahmen
zu akzeptieren, wenn sie mit legitimer Autorität vertreten werden".
Warum soll diese legitime Autorität nicht ganz einfach ein Bundeskanzler
oder eine Bundeskanzlerin und mehrheitlich aufgewachte Abgeordnete sein?
Unabhängig von Träumen über die magischen Kräfte neuer
Institutionen, gibt es für mehr Liebe in Politik und Privatleben
vor allem dieses Rezept: Tun!
Ich sehe auch in Gorbatschow weder einen "ökologischen Fürsten",
noch einen "neuen Kaiser", sondern einen Pragmatiker, der einiges
begriffen hat und zu handeln anfängt. Die Moralisten in Ost und West
haben uns an den Ab-grund geführt - nur Realisten können an
der Rettung arbeiten, oben und unten. Eine lebendige Demokratie braucht
Quer- und Tiefdenker wie Rudolf Bahro. Sie wirken wie das Salz in der
Suppe. Querdenker aber, und wären sie Heilige, brauchen vor allem
kritische Freundinnen und Freunde. Ich wünsche nicht, daß Rudolf
Bahro in die Politik zurückkehrt, aber ich wünsche, daß
er künftig mit einfacheren Büchern genausoviel Gedanken freisetzt
wie bisher.
Logik der Rettung. Wer kann die Apokalypse aufhalten? Ein Versuch über
die Grundlagen ökologischer Politik, 525 Seiten
DIE ZEIT - Nr.4 - 22. Januar 1988 - Seite 18 - Rubrik Politisches Buch
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