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Vergewisserungen
Marko Ferst: Umstellt.Sich umstellen
Von Heike Koall
Das politische Gedicht ist selten geworden in den heutigen neoliberalen
Zeiten. So wie einst Kurt Tucholsky regelmässig Gedichte in Zeitungen
plazierte, das dürfte heute unmöglich sein. Doch Gedichte,
geschrieben mit spitzer Feder, ganz auszulöschen sind sie nicht.
Marko Ferst hat sich in diesem Medium versucht, bezieht Psyche, Geist
und Politik sehr eng aufeinander. Seine Gedichte sind ein Votum gegen
Abstumpfung und Entfremdung. Er hinterfragt Selbstverständlichkeiten,
geht Ihnen auf den Grund, kommt zu überraschenden Wendungen und
Schlüssen. Die Botschaften sind virtuos und sprachgewandt, zudem
unverkennbar rot- und grünstichig. Er versucht politische Begebenheiten
und die dazugehörige Spurensuche von neuen Seiten ins Licht zu rücken.
Fersts Gedichte sind politisch engagiert, zerstreuen sich aber auch nicht
in die je nächste ta-gespolitische Aktualität, sondern konzentrieren
sich auf wesentliche Ein- und Ausblicke. In ihrer klaren, unverwechselbaren
Art werden sie wohl auch Leser und Leserinnen ansprechen, die üblicherweise
Gedichte meiden. Bei der Lektüre wird man sich gelegentlich an die
Dichtung Erich Frieds erinnert fühlen. In Inhalten und Formen sind
partiell ähnliche Muster zu finden. In weiten Bereichen hat Ferst
jedoch unkonventionelles Vorgehen ausgetestet. Man wird immer wieder
kabaretthafte Einschlüsse finden.
Der Autor stellt unbequeme Fragen zum Krieg im Irak: „flügelschwere
Bombenhoheit/ De-mokratie in schwarzen Streifen“ Er spielt gnadenlos
mit dem Wort, hebt sinnstiftende Unter-schichten an die Oberfläche.
So attestiert er dem us-amerikanischen „Texasgeist“ „demokra-tiegekreuzte“ Absichten,
fragt ob diese „Fieberhand“ ausläuft oder sich fortzeugt.
Ganz ähnlich dekodiert er den Kosovokrieg, prüft die hehren
Absichten der vorgeblichen Friedensbringer und die verschiedenen Seiten
von Menschenrechten bei Bombardements. Im Kontext der New Yorker Anschläge
von 2001 fragt er worauf man die Blicke noch richten müsste, in
welchem Verhältnis die Kriege und Greueltaten des Pentagon zu diesem
Ereignis liegen. Ferst gibt nicht immer Antworten, er stellt auch viele
Fragen. Seine Gedichte sind Anleitungen zum eigenständigen Selberdenken.
Aber nicht nur die gesellschaftspolitische Ebene interessiert ihn. Mehrere
Liebesgedichte findet man im Band. In „Unvorhergesehen“ skizziert
er eine völlig überraschende Begegnung, die sich beide ganz
anders vorgestellt hatten. Auch eine gescheiterte Beziehung wird charakterisiert,
die menschlichen Schwächen, denen man erlegen sein kann. In „Erotische
Streifzüge“ kommt zur Sprache, was üblicherweise unausgesprochen
bleibt.
Gedichte über die inneren Landschaften menschlichen Seins nehmen
breiten Raum ein. In dem Gedicht „Etwas in uns“ sucht er
nach Spuren der eigenen Existenz, die sich in Ruhe und Gelassenheit verorten
lassen. „Es lebt von der Hoffnung/ zehrt von der Verzweiflung/verbindet
sich mit der Liebe/ und sucht sich einen Weg“. Er schreibt über
die Musik Arvo Pärts, fragt nach der spirituellen Freiheit. „Gewebte
Töne/ als Vorboten?/ Musikräume als Wegkarte/ von Innen nach
Morgen?/ jetzt und hier heilig sein/ ganz irdisch/ und branden/ mit den
Wellen“.
Marko Ferst ist eigentlich bekannt als einer der konzeptionellen Ökologen
in der Linkspartei. Zusammen mit Franz Alt und Rudolf Bahro brachte er
den Band „Wege zur ökologischen Zeitenwende“ heraus.
So ist es nicht verwunderlich, dass in dem Band viele Gedichte die Sorge
um den Erhalt der irdischen Gleichgewichte thematisieren. Dies tut er
auch radikal selbstkritisch, stellt sein eigenes Ungenügen zur Debatte.
Er warnt vor neuen totalitären Entwicklungen.
Die Vielfalt der Themen, die er anspricht, ist bemerkenswert. Verhältnisse
um die Blutdia-manten in Angola bis hin zu Unrecht im tibetischen Hochland
oder die vergebenen Chancen im Zuge der DDR-Herbstwende stehen auf seiner
Tagesordnung. Mit der Erzählung „Der Freund und das Fensterkreuz“ schliesst
der Band ab. Auf verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen verfolgt er
das Schicksal eines Jungen, der durch seine familiären Verhältnisse
in eine ausweglose Situation gerät und wie er versucht sich dort
herauszuwinden.
Wer bei Ferst ungetrübte Poesie sucht, wird nur bedingt fündig
werden. Seine Gedichte haben häufig eine etwas traktathafte Art
und einen rauhen Ton. Trotzdem, wer einen gesellschaftskritischen Umgang
sucht, dem wird nicht entgehen, dass dort eine linkslastige und rechtslästige
Dichterstimme ist, die sich lohnt anzusehen. In diesem Jahr erhielt er
einen deutsch-polnischen Literaturpreis für eine Auswahl seiner
Gedichte.
Marko Ferst: Umstellt. Sich umstellen. Politische, ökologische
und spirituelle Gedichte. Edition Zeitsprung. 160 S., brosch., 11,20 €
Neues Deutschland, 21.9.2006
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