Kulturwandel im Zeichen des Klimanotstands

Eine Replik auf Franz Alts Buch „Lust auf Zukunft. Wie unsere Gesellschaft den Wandel schaffen wird“

Marko Ferst

Als Strom aus Wind und Sonne noch als unbezahlbar galt, argumentierte Franz Alt unermüdlich, wie die solare Wende umgesetzt werden könnte. Inzwischen werden über 40 Prozent erneuerbar erzeugt, damals für die meisten unvorstellbar. In seiner Sendereihe „Zeitsprung“ Anfang der 90er Jahre präsentierte er im Fernsehen, wie wir mobil ohne Auto sein könnten. Von hundert Prozent Ökologischem Landbau bis 2030, wie er forderte, sind wir in Deutschland noch weit entfernt mit 9,1 Prozent der Anbaufläche, etwa die Alpenländer liegen deutlich weiter vorn. Stattdessen befinden wir uns in einem gewaltigen Insektensterben und immer mehr Feldlerchen, Kiebitze, Rebhühner etc. kommen uns in rasantem Tempo abhanden. Mit Blick auf die 300 bis 400 Tier- und Pflanzenarten, die wir global täglich verlieren, gehört das zu den Vorboten des sechsten Massenaussterbens.
Als Fernsehmoderator und Buchautor erwarb sich Alt große Verdienste wie die Gesellschaften auf ökologische Pfade umsteigen könnten, trug manchen Konflikt mit seinen Vorgesetzten aus, um das präsentieren zu können, was er für richtig hielt. Statt erfolgreiche Umweltsendungen wie einst beim RBB die Umweltsendung „Ozon“, die von inkompetenten Verantwortlichen beiseite geräumt wurde, würde man sich öfter Filme, ähnlich wie aus der Zeitsprung-Reihe, ins Fernsehen zurück wünschen, so informativ manche umweltbezogene Sendung der Reihe „Leschs Kosmos“ auch sein mag.
Ein weites Panoramabild für eine ökologische Umkehr zeichnet Alt auch in seinem aktuellsten Buch „Lust auf Zukunft. Wie unsere Gesellschaft die Wende schaffen wird“. Bissige Kritik ernten die Regierungsparteien, weil sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz verwässerten, die bürokratischen Anforderungen immer komplizierter wurden. Zukünftig müssen wir lernen, so Alt, in regionalen Kreisläufen zu wirtschaften. In den letzten 25 Jahren wurde in Deutschland die Siedlungs- und Verkehrsfläche um 23 Prozent erweitert, täglich 90 Fußballfelder zugebaut. Eine Gefahr auf leisen Sohlen.
Bis wir so viele Güter wieder mit der Bahn transportieren, wie einst in der DDR, brauchen wir wohl erst mehrere grüne Verkehrsminister mit Biß, bleibt zu befürchten. Tausende Kilometer Bahnstrecke fielen der Logik bundesdeutscher Politik zum Opfer nach 1990 im Beitrittsgebiet, freilich eine chronische Fehlentwicklung im ganzen Land. Alt fordert ein Ausstiegsdatum wie in anderen Ländern für Benzin- und Dieselautos. Mit Verweis auf eine Studie des Wuppertal-Instituts, sollte bis 2035 der öffentliche Verkehr und Radverkehr so ausgebaut werden, dass sich die Zahl der privaten PKW halbieren kann bis dahin. Das wird nicht einfach, angesichts der psychologischen Widerstände, ist ihm klar. Er erinnert an die dunkle Seite der Automobilität: Seit 1945 gab es weltweit 120 Millionen Verkehrstote.
Solange eine Zugfahrt von Berlin nach München mit Rückfahrt bei monatlicher Vorausbuchung im Minimum ca. 150 Euro kostet und der Flug nur 70 Euro, bleibt anzumerken, muss man sich über den rasant steigenden Flugverkehr nicht wundern, für den die versammelte Inkompetenz von drei CSU-Verkehrsministern hintereinander verantwortlich zeichnet. Den wegen schwerer Planungsfehler bisher nicht eröffneten und vom Staat finanzierten Flughafen in Schönfeld, so zu erweitern, dass er fast doppelt soviel Passagiere abfertigen kann, geplant sind 56 Millionen, kann nur noch als politische Geisterfahrt begriffen werden im Angesicht der Pariser Klimabeschlüsse. Wir sind also noch Äonen entfernt von der Altschen Verkehrswende.
Holz speichert natürlich Kohlendioxid und sollte überall zum Einsatz kommen, wo dies sinnvoll ist. Da ist Alt zuzustimmen. Häuser aus Strohballen, Lehm und Holz kann man im Ökodorf Sieben Linden besichtigen. Man sieht ihnen diese Bauweise nicht an. In dem sehr trockenen Sommer in Russland 2010 wüteten dort viele große Brände. Zahlreiche Dörfer wurden ein Opfer der Flammen und zumeist blieben nur die steinernen Schornsteine der Holzhäuser übrig. Ob man diesen offensichtlichen Nachteil von Holz überall ausgleichen kann, sollte kritisch im Blick bleiben. Eines dürfte als sicher gelten: Speziell die Gefahr von Waldbränden wird trotz zunehmend mehr Mischwald in Zeiten des Klimawandels rapide ansteigen.
Eine effizientere Ressourcennutzung, wie Alt sie fordert, ist für eine ökologische Zeitenwende unabdingbar. Man kommt aber zu einer solchen, gar um den Faktor Zehn, nur durch eine ökologische Steuerreform. Langlebige Produkte reparaturfreundlich herzustellen, haben große Teile der Wirtschaft verlernt. Das sollte gesetzgeberisch vorgegeben werden. Warum besteuert man noch immer den Faktor Arbeit hoch, statt auf die Ressourcen und Energie den Schwerpunkt zu legen?
Unökologische Luxusprodukte könnten beispielsweise mit einem Mehrwertsteuersatz von 30 Prozent belegt werden. 1994 legte das DIW im Auftrag von Greenpeace eine Studie vor, wie man schrittweise Ökosteuern einführen könnte. Bei Minimalien unter Rot-Grün und marginal wirksamem Emissionshandel ist es seitdem geblieben. Etwa Schweden zeigt, wie es anders gegangen wäre. Dass man hier nicht weiter gekommen ist, zeigt an, wie rückständig die deutsche Politik agiert hat, 25 Jahre wurde getrieft, und erst Jugendliche, die den Erhalt ihrer Zukunft einfordern, ein Heißzeitsommer und grüne Wahlzuwächse scheinen die Bewegungsstarre der Konservativen unter Druck etwas zu lösen. Ohne Aufkommensneutralität geht es freilich bei einer Ökologischen Steuerreform nicht, und soziale Balance ist angeraten mit Blick auf die französischen Verhältnisse.
Wir wollen jetzt den Blick etwas stärker auf die Planetenphysik richten. Die globalen Kohlendioxidemissionen stiegen von 1990 bis jetzt um rund 68 Prozent mit immer noch weiter zunehmender Tendenz. Klimaforscher Stefan Rahmstorf führt in einem Vortrag aus, wir haben etwa noch 600 bis 800 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, bis die Zwei-Grad-Grenze unwiderruflich überschritten wird. Jährlich kommen mit Quellen aus der Änderung von Landnutzung über 40 Milliarden Tonnen dazu. Die Weltbevölkerung steigt, selbst bei gleichbleibendem Eintrag, überschreiten wir um 2035 die Zwei-Grad-Grenze vom angelegten Potential her. Wenn man annähme, wir könnten weltweit die Gesamtmenge halbieren, die in den nächsten 15 Jahren emittiert wird, so müsste man um 2050 weltweit Null Tonnen anpeilen. Ob und wie man die letzten 10-20 Prozent vermeiden kann, dürfte sich als ganz besonders schwierige Herausforderung entpuppen und mit Maßnahmen verbunden sein, die heute noch unvorstellbar scheinen. Für den Meeresspiegelanstieg bedeuten zwei Grad mehr global übrigens am zeitlichen Schlusspunkt, Berlin wird zur Küstenstadt.
Für einen ökologischen Pfad müssten aber Politik und Gesellschaften ein gänzlich anderes Tempo vorlegen, praktisch beständig im Modus eines ökologischen Quantensprungs agieren. Es spricht sehr viel mehr dafür, dass diese Zivilisation sich längst im Spätstadium befindet und künftige Generationen sich auf gänzlich andere Verhältnisse vorbereiten müssten, in der die Fähigkeiten und Ressourcen heutiger Gesellschaften sehr weitgehend verloren gehen. Selbst bei starken ökologischen Änderungen droht faktisch ein Abrutschen in global drei oder vier Grad oder mehr und damit jene Achterbahnfahrt, die all die Kippelemente der Klimasysteme aktiv zu schalten droht.
Wie so etwas im schlimmsten Fall ausgehen kann, deutet die Evolutionskatastrophe im Perm vor 252 Millionen Jahren an, bei der die Tier- und Pflanzenwelt fast komplett ausgelöscht wurde. Die sibirischen Flutbasalte, gewaltige Vulkanfelder über 5,2 Millionen Quadratkilometer, lösten diese aus, vermutlich wurden dabei auch riesige Kohlelagerstätten verbrannt. Die globale Temperatur stieg um fünf Grad. Freigesetzte Methanhydrat-Lagerstätten lösten einen Supertreibhauseffekt aus, die Temperatur stieg um weitere fünf Grad. Die Meeresströmungen versiegten, CO2 versauerte die Ozeane. Am Ende waberten Schwefelpurpurbakterien in allen Ozeanen, die übelriechenden und hochgiftigen Schwefelwasserstoff produzierten. In der ersten Million Jahre nach dem Aussterben im Perm betrugen die Wassertemperaturen der Ozeane über 40 Grad, und der Großkontinent Pangäa wurde bei 60 Grad gegrillt. Dies nur zur Illustration, wohin die Reise gehen kann und damals hatte die Sonne noch weniger Energie als heute. Methanhydrat an den Festlandsockeln der Meere und im Permafrost von Russland, Kanada und Alaska stehen in überreichlicher Menge bereit für ein ähnliches Szenario.
Fred Pearce hat in seinem Buch „Das Wetter von Morgen“ sehr kenntnisreich zusammengetra-gen, welche zahlreichen nichtlinearen Effekte uns zunächst überraschen könnten in einer wärmer werdenden Welt. Egal wie die Dinge sich entwickeln, die Wasserwende, der Waldumbau, die Verkehrswende, geringer Fleischkonsum etc. - all diesen Aufgaben muss man sich so oder so stellen, darin bin ich einig mit Franz Alt. Aber wir werden einen weiteren Horizont in den Blick nehmen müssen, um die heranwachsende Generation auf das vorzubereiten, was sie in ihrer Lebenszeit erwartet. Von einer hochtechnisierten Welt umgeben, ist sie mit Wissen ausgerüstet, das die derzeitigen Arbeits- und Lebenswelten verlangen. In wenigen Jahrzehnten könnte man sich gänzlich anderen Situationen ausgesetzt sehen, die Menschen würden den neuen Anforderungen oft völlig hilflos gegenüberstehen.
Infrastruktur und Landwirtschaft an neue klimatische Bedingungen anzupassen, wird nur partiell gelingen. Sehr zu Recht macht Jared Diamond in „Kollaps“ darauf aufmerksam, wir könnten uns schnell sehr weit zurückgeworfen sehen in der zivilisatorischen Entwicklung, abgeschnitten von den heute noch globalen Ressourcenströmen. Damit werden gänzlich andere Fertigkeiten als heute verlangt. Ohnehin dürfte der Anbau von Nahrungsmitteln die Achillesferse sein, und dies künftig bei Spitzentemperaturen von 50 Grad oder anderen Wetterunbilden, neuen Befallsmustern von Schädlingen etc.
Im Zuge klimatischer Umbrüche werden wir schwerste Finanzkrisen erleben, die große Teile der realen Wirtschaft unter ihren Trümmern begraben. Die heutigen Plutokratien dürften kaum geeignet sein, soziale Balancen zu erhalten, wenn der einstige Wohlstand erodiert. Nur mit roher diktatorischer Gewalt ließen sich Eigentums- und Einkommensverhältnisse der reichen Oberschichten punktuell befestigen. Hilfreich könnte sein, eine politökonomische Ordnung zu entwickeln, die gleichartige soziale Ansprüche aller sichert, Marktkräfte nur im engen Rahmen der biosphärischen Tragekapazität duldet und obszönen Reichtum radikal abbaut.
Es wird verschiedene Phasen des Niedergangs geben. Dass wir es an vielen Orten mit Bürger-kriegen zu tun bekommen bzw. einem hohen Grad an Gewalt, ist nicht nur mit Blick auf die archäologischen Befunde beim Untergang der Maya und der altägyptischen Dynastie infolge natürlicher klimatischer Unbilden und eigener Fehler wahrscheinlich. Gravierende geopolitische Spannungen dürften sich entladen. Von der Inquisition, dem Kolonialismus, dem Nazifuror bis zum Stalinschen Gulag-System sehen wir das destruktive Potential des Menschen, und das Treibhauszeitalter ist wie geschaffen dafür, neue totalitäre Obsessionen zu entfachen, und man sollte sich nicht zu sicher sein, man könnte sie rechtzeitig abwehren. Auch ohne diese Zutat würden wir eine andauernde menschliche Tragödie zu Gesicht bekommen, deren apokalyptisches Brandmaß verstummen lässt angesichts von Opferzahlen, die in Milliarden zu beziffern sein werden.
Wenn man den Blick über ein, zwei oder mehr Jahrhunderte richtet, teile ich die Einschätzung von James Lovelock in „Gaias Rache“, es ist recht plausibel, dass nur noch eine Milliarde Men-schen oder eine halbe auf dem Planeten dann leben. Im hohen Norden könnte sich diese Restzi-vilisation ausbreiten. Ob es gelingt, das dauerhaft zu stabilisieren, als sicher kann dies keineswegs gelten. Es macht aber schlagartig die Dimension der Anforderungen klar, vor der die nächsten Generationen stehen, unabhängig davon, wieviel es gelingt zu retten oder nicht. Darüber hinaus sind wir auf Veränderungen dieser Dimension extrem schlecht vorbereitet, und ich empfehle, diesen Zustand der Selbsttäuschung möglichst schnell zu beenden und wissenschaftliche Ressourcen etc. dafür an den Start zu bringen.
Könnten alle späteren Generationen demokratisch darüber befinden, wie wir unseren Lebensstil, Infrastruktur und das Kultur- und Gesellschaftsystem zu ändern hätten, es käme einer gewaltigen Revolution gleich. Stellen wir uns also eine Zeitsprung-Sendung vor, wie sie Franz Alt einst präsentierte, Bundestag und Regierung und alle wichtigen Staatsfunktionen würden von demokratisch gewählten Vertretern der zukünftigen Generationen ausgeübt. Wir müssten vermutlich nur zehn Jahre in die Zukunft gehen in der Sendung, um eine radikal umgestaltete Gesellschaft zu sehen. Kohlekraftwerke wären verschwunden, Autos würden nicht mehr vom Band laufen, vieler Luxus, der einst als unverzichtbar galt, wäre nur noch auf Trödelmärkten zu finden. Gehen Sie doch einfach mal selbst dieses Experiment durch, was alles jene Menschen aus der Zukunft uns innerhalb von zehn Jahren auferlegen würden. So kommt man sehr viel näher dem, was eigentlich nötig wäre, aber um unserer Zwänge und Bequemlichkeit wegen, eher außen vor bleiben wird.

erschienen in der Berliner Umweltzeitung „Rabe Ralf“ 12/2019 und dem Newsletter sowie auf der Webseite www.sonnenseite.com

 

 

 
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