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Klimaveränderungen und die Ozeane
Stefan Rahmstorf
„
... welche Rolle spielen die Ozeane im Klimasystem? Im wesentlichen tun
sie fünf entscheidende Dinge: Sie speichern Wärme, sie transportieren
Wärme rund um den Globus, sie geben Wasser an die Atmosphäre
ab, sie gefrieren, und sie speichern Gase wie Kohlendioxid und tauschen
diese mit der Atmosphäre aus. Die Ozeane sind daher integraler Bestandteil
des Klimasystems und genau so wichtig wie die Atmosphäre. ... Weil
der größte Teil der Erde von Meeren bedeckt und die Atmosphäre
für Sonnenstrahlen durchlässig ist, wird der größte
Teil der eingestrahlten Sonnenenergie zunächst von den Ozeanen absorbiert.
Die Meere speichern die Wärme, transportieren sie mittels Strömungen
rund um den Erdball und geben sie schließlich wieder an die Atmosphäre
ab. Die Ozeane kontrollieren daher, wie die Sonnenenergie in das Klimasystem
gelangt und dieses antreibt. Die große Speicherkapazität der
Meere stellt einen Puffereffekt dar, der jede Veränderung des Klimas
abmildert.“ (S. 43)
„... die absolute Menge des im Meerwasser ... vorhandenen Kohlenstoffs
ist fünfzig mal größer als die in der Atmosphäre.
Bedenkt man nun den beständigen CO2-Austausch zwischen Ozeanen und
Atmosphäre, wird deutlich, dass es für die Hochrechnung künftiger
CO2-Konzentrationen nicht nur wichtig ist zu wissen, wie viel CO2 in
die Atmosphäre freigesetzt wird, sondern auch, wie viel ins Meer
gelangt – und wieviel dort verbleibt! Daher werden die Prozesse,
die die Kohlenstoffaufnahme und Speicherung („Sequestration“)
im Meer bestimmen, derzeit intensiv erforscht. ... Es lohnt sich, noch
einen Blick auf die ungeheure Kohlenstoffmenge zu werfen, die sich auf
dem Meeresboden befindet. Dieses Reservoir, das auf 30 Millionen Gigatonnen
geschätzt wird, stellt die bei weitem größte Kohlenstoffanhäufung
auf der Erde dar. ... Das meiste davon stammt natürlich aus herabgesunkenem
organischem Material (größtenteils abgestorbene Pflanzen und
Tiere)“ (S.87/88)
„Die Kohlendioxidkonzentration der Erdatmosphäre ist in den
vergangenen 150 Jahren um ein Drittel gestiegen, von 280 ppm (parts per
Million = Teile pro Million Teile) auf inzwischen 380 ppm im Jahr 2006.
Damit hat die CO2-Konzentration den höchsten Wert seit mindestens
650000 Jahren erreicht (so weit gehen die genauen CO2-Daten aus Eisbohrkernen
zurück), wahrscheinlich aber sogar seit Millionen von Jahren. Dieser
Anstieg ist vollständig vom Menschen verursacht worden: Die zusätzlichen
100 ppm in der Atmosphäre entsprechen sogar nur etwa der Hälfte
der Menge, die wir emittiert haben. Hätten die Ozeane und die Wälder
nicht einen Teil unserer Emissionen aus der Atmosphäre aufgenommen,
dann hätten wir also bereits den nahezu doppelten Anstieg der atmosphärischen
Konzentration verursacht. ... Die Konzentration von Methan hat sich mehr
als verdoppelt, während die Stickoxidkonzentrationen um ein Fünftel
gestiegen ist. Andere Gase kommen von Natur aus gar nicht in der Atmosphäre
vor und sind überhaupt erst durch den Menschen dorthin gelangt:
Die Flurkohlenwasserstoffe (FCKW).“ (S.105/106)
„Könnte es noch schlimmer kommen? Wenn auch nach gegenwärtigem
Kenntnisstand nicht sehr wahrscheinlich, ist leider auch dies nicht ausgeschlossen – neuere
Studien, die seit der Publikation des letzten IPCC-Berichtes (2001) durchgeführt
wurden, deuten auf die Gefahr einer größeren Freisetzung von
CO2 aus der Biosphäre infolge der Erwärmung hin. Dadurch würde
die Konzentration auf noch höhere Werte steigen, und sogar eine
Erwärmung um 7 bis 8 °C wäre möglich. Könnte
es auch glimpflicher ausgehen als 2°C Erwärmung? Nichts spricht
dafür, dass die Natur uns auf einmal einen noch größeren
Anteil unserer Emissionen abnehmen wird als bislang.“ (Quelle 2,
S.49-50)
„Tatsächlich beobachtet man in Teilen des Polarmeeres in
den letzten Jahrzehnten eine Erwärmung von über 3 °C, also
ein Mehrfaches des globalen Trends. Gleichzeitig schrumpft die Fläche
des Eises immer mehr – bislang um 20 % seit Beginn der Satellitenbeobachtungen
im Jahr 1979. Eine neue, 2006 veröffentlichte Studie kommt zum Ergebnis,
dass bereits im Jahr 2040 das Polarmeer im Sommer weitgehend eisfrei
sein könnte. Frühere Modellrechnungen sagten dies erst für
das letzte Viertel des Jahrhunderts voraus.“ (S.114/115)
„Die Erde hat derzeit zwei große kontinentale Eisschilde,
in Grönland und der Antarktis. Dies war nicht immer so – vor
Jahrmillionen zu Zeiten höherer CO2-Konzentrationen und wesentlich
wärmeren Klimas, war die Erde praktisch eisfrei. Die derzeitigen
Eisschilde sind 3 bis 4 km dick. Wie wird sich die aktuelle Erwärmung
auf die Eismassen auswirken? Das Grönlandeis erhält in den
zentralen Bereichen durch Schneefälle ständig Nachschub; an
den Rändern schmilzt es hingegen. Normalerweise sind beide Prozesse
im Gleichgewicht. Erwärmt sich das Klima, dehnt sich die Schmelzzone
aus und das Abschmelzen beschleunigt sich; auch Niederschläge können
zunehmen. Insgesamt verändert sich die Massenbilanz so, dass das
Eis (ähnlich wie die ... Gebirgsgletscher) an Masse verliert. ...
Modellrechnungen haben ergeben; das bei einer lokalen Erwärmung
von 3 °C (die schon bei einer globalen Erwärmung um global weniger
als 2 °C erreicht werden könnte) wahrscheinlich das gesamte
Grönlandeis allmählich abschmelzen wird. Dabei spielt eine
verstärkende Rückkopplung eine zentrale Rolle: Sobald der Eispanzer
dünner wird, sinkt seine Oberfläche in niedrigere und damit
wärmere Luftschichten ab, was das Abschmelzen noch beschleunigt.
Das Grönlaneis war bisher deshalb so stabil, weil auf Grund seiner
Dicke große Bereiche in mehreren tausend Metern Höhe und damit
in sehr kalter Luft liegen. ... In den letzten Jahren beobachtet man
in Grönland dynamische Prozesse, insbesondere ein schnelleres Fließen
des Eises, die ein rascheres Abschmelzen ermöglichen als bislang
erwartet.“ (Quelle 2, S.61)
„Das Grönlandeis bindet eine Wassermenge, die bei seinem
kompletten Abschmelzen einen weltweiten Meeresspiegelanstieg von 7 m
bedeuten würde. Im westantarktischen Eisschild sind 6 m Meeresspiegel
gespeichert, im Ost-Antarktischen Eisschild (das bislang als weitgehend
stabil gilt) sogar über 50 m. Die Stabilität der Eisschilde
in Grönland und der West-Antarktis ist daher die große Unbekannte
bei Abschätzungen des künftigen Meeresspiegelanstiegs.“ (Quelle
2, S.64)
„Neben den Treibhausgasen gibt es noch einen weiteren wichtigen
Einfluß des Menschen auf das Klima zu berücksichtigen: Die
Verschmutzung der Atmosphäre mit Partikeln (Staub, Ruß, Schwefelteilchen
und so weiter.), den sogenannten Aerosolen, die der Volksmund auch Smog
nennt. Diese Teilchen reflektieren Sonnenlicht und haben dadurch eine
abkühlende Wirkung auf das Klima. Sie läßt sich deutlich
weniger leicht bestimmen als die Wirkungen der Treibhausgase – die
Zahl ist daher unsicherer, doch liegt sie nach den besten Abschätzungen
bei etwa 1,2 W/m2. Dadurch wird etwa ein Drittel der Treibhauswirkung
kompensiert – allerdings nur, wenn man globale Mittelwerte betrachtet,
denn im Unterschied zu den langlebigen und deshalb in der Atmosphäre
gut durchmischten Treibhausgasen ist das Vorkommen von Smog regional
sehr unterschiedlich – und damit auch seine Strahlungswirkung auf
das Klima.“ (S.107/108)
„ ... das entstandene Ungleichgewicht führt zwangsläufig
zu einer Erwärmung der Klimas. Das genaue Ausmaß der Erwärmung
ist nicht einfach zu berechnen, da es von mehreren Rückkopplungseffekten
abhängt, die es verstärken oder abschwächen können.
Zu diesen zählen Veränderungen in der Wasserdampfkonzentration
in der Atmosphäre, denn Wasserdampf ist das wichtigste Treibhausgas
und seine Konzentration steigt bei wärmeren Temperaturen – jede
Erwärmung (oder auch Abkühlung) des Klimas wird dadurch also
verstärkt. Dazu zählen auch Veränderungen bei der Bewölkung – Wolken
in unterschiedlicher Höhe und unterschiedlichen Typs können
die Erwärmung sowohl abschwächen als auch verstärken.
Und dazu zählen schließlich Veränderungen in der Schnee-
und Eisbedeckung unseres Planeten. Da helle Eisflächen viel Sonnenstrahlung
reflektieren, führt eine Abnahme der Eisbedeckung zur Aufnahme von
mehr Sonnenwärme und verstärkt damit die Erwärmung, insbesondere
natürlich in hohen Breitengraden. ... In der Summe wirken sich die
Rückkopplungen verstärkend auf den Klimawandel aus. Dies sagen
einerseits alle Modellrechnungen. Vor allem wird dies aber durch die
Klimageschichte belegt, in der es immer wieder drastische Klimaveränderungen
gab (zum Beispiel die bekannten Eiszeiten). Wirkten die Rückkopplungen
im Klimasystem insgesamt abschwächend und nicht verstärkend,
dann wären auch diese natürlichen Klimaveränderungen in
der Vergangenheit wesentlich schwächer und unspektakulärer
ausgefallen.“ (S.108/109)
„Wenn der Kohlendioxidgehalt in der Luft weiter unkontrolliert
zunimmt, wird es voraussichtlich bis 2065 in den Weltmeeren keine Regionen
mehr geben, wo die chemischen Verhältnisse noch die Bildung von
Calciumcarbonat durch Korallen zulassen. ... Als Folge der höheren
atmosphärischen CO2-Konzentration wird ein abnehmender pH-Wert (das
heißt zunehmende Versauerung) der Oberflächenwasser des Ozeans
vorhergesagt, und in einigen Gegenden ist dies in der Tat auch schon
gemessen worden. ... Je niedriger der pH-Wert des Ozeans wird, desto
weniger Kohlenstoff in Form von CO32- ist vorhanden. ... CO32- ist ein
notwendiger „Baustein“ des Calciumcarbonats, und es gibt
sehr viel Meeresorganismen, die Calciumcarbonat produzieren. Dazu zählen
Muscheln, einige Seegrasarten, Seesterne, Korallen und – wohl am
wichtigsten – die winzigen Lebewesen wie Coccolithophoriden, Pteropoden
und Foraminiferen, die die Carbonatpumpe antreiben ..., mit denen Kohlenstoff
in Form von Calciumcarbonat von der Oberfläche in das Bodenwasser
transportiert wird. Wenn der pH-Wert sinkt und weniger CO32- zur Verfügung
steht, fällt es solchen Organismen immer schwerer, ihr Calciumkarbonat
herzustellen und auch zu behalten, denn unter sauren Bedingungen wird
Calciumcarbonat aufgelöst.“ (S.162-164)
„Wie sehen die Langzeittrends bei den Tropischen Wirbelstürmen
aus? In der Gesamtzahl dieser Stürme weltweit lässt sich bislang
keine eindeutige Entwicklung erkennen, auch wenn die Häufigkeit
im Atlantik in den letzten 10 Jahren deutlich über dem Durchschnitt
lag. Auswertungen von Satellitendaten und Flugzeugmessungen zeigen jedoch
eine deutliche Zunahme der Stärke von tropischen Wirbelstürmen
seit 1970. Eine amerikanische Forschergruppe um Peter Webster fand, dass
die Zahl der Tropenstürme der beiden stärksten Kategorien (4
und 5) sich nahezu verdoppelt hat, von 10 pro Jahr in den 1970er Jahren
auf 18 pro Jahr im vergangenen Jahrzehnt. Die Anzahl der schwächsten
Hurrikane (Kategorie 1) hat dagegen deutlich abgenommen ...“ (S.141)
„Auf Stürme in den mittleren Breiten wirken widerstreitende
Trends ein. So vermindert die besonders starke Erwärmung der Pole
das Temperaturgefälle zwischen Äquator und hohen Breiten, was
die Sturmstärke verringern sollte. Andererseits kühlt sich
die Stratosphäre ab, was den vertikalen Temperaturgradienten erhöht
und die Stürme verstärken könnte. Dies sind nur zwei von
mehreren Faktoren. Klimamodelle und selbst die höher auflösenden
Wettermodelle geben gerade die Windgeschwindigkeiten der stärksten
Stürme bislang nur mangelhaft wieder. Ob außertropische Stürme
weltweit eher zu- oder abnehmen werden, ist daher bislang unklar. Schaut
man eine bestimmte Region an, kommt es darüber hinaus weniger auf
eine mögliche globale Zu- oder Abnahme an, sondern darauf wie sich
die Zugbahnen von Stürmen verlagern. Für Europa ist damit zu
rechnen, daß die Wege der atlantischen Tiefdruckgebiete sich eher
nach Norden verlagern, so daß in Nordeuropa mehr, in Südeuropa
dagegen eher weniger Stürme auftreten.“ (S.145)
„... der Golfstrom wird überwiegend vom Wind angetrieben
und ist ein Teil des großen Subtropenwirbels. Er kann daher niemals
versiegen, solange die Winde weiter wehen (was außer Frage steht).
Die Medienberichte über sein Versiegen sind einfach auf eine begriffliche
Unschärfe zurückzuführen. Ozeanographen unterscheiden
zwischen dem Golfstrom im westlichen Atlantik und seinem verlängerten
Arm, dem Nordatlantikstrom, der im Nordatlantik bis an die europäischen
Küsten strömt. Der Nordatlantikstrom könnte tatsächlich
versiegen ...“ (S.146)
„
Die globale Erwärmung könnte das Absinken von Tiefenwasser
und damit das ganze thermohaline Zirkulationssystem auf zwei Arten
stören. Erstens erschwert die Erwärmung ein Absinken, weil
wärmeres Wasser leichter ist als kaltes. Zweitens bringt die Erwärmung
mehr Niederschläge in die hohen Breiten, der Abfluß von
Flüssen erhöht sich (ein bereits gemessener Trend), und durch
Abschmelzen von Eis gelangt zusätzliches Süßwasser
ins Meer. Dadurch nimmt im nördlichen Atlantik der Salzgehalt
ab – auch dies ist ein seit Jahrzehnten anhaltender, beobachteter
Trend. Allerdings ist diese Salzgehaltsabnahme bislang nach Simulationsrechnungen
noch zu gering um einen Einfluß auf die Strömung zu haben.
Die entscheidenden Fragen sind: Wieviel Süßwassereintrag
ist erforderlich, um die Strömung zum Erliegen zu bringen? Und
wie viel Süßwassereintrag können wir – bei ungebremster
globaler Erwärmung – künftig erwarten? Leider sind
beide Fragen nur sehr unsicher zu beantworten. Modelle und Daten aus
der Klimageschichte deuten darauf hin, dass ein Süßwassereintrag
von 100000 Kubikmetern pro Sekunde wohl eine kritische Menge darstellt – aber
dies ist nur eine grobe Größenordnung. Und der künftig
zu erwartende Süßwassereintrag hängt vor allem vom
Schmelzen des Grönlandeises ab, über dessen Zukunft man ...
keine gesicherten Aussagen machen kann. Ein Abschmelzen über 1000
Jahre hinweg wäre gerade mit einem mittleren Abfluß von
Schmelzwasser von 100000 Kubikmetern pro Sekunde verbunden. In den
heutigen Klimamodellen ist dies in der Regel gar nicht enthalten, so
dass diese Modelle kaum für Prognosen über das Verhalten
der Strömung geeignet sind. Angesichts dieser Unsicherheiten muß man
von einem schwer kalkulierbaren Risiko sprechen. ... Wir haben bereits
Mitte der 1990er Jahre in Publikationen darauf hingewiesen, dass die
globale Erwärmung (die ja Voraussetzung dieser Szenarien ist)
eine Abkühlung durch die ausbleibende Strömungswärme
mehr als kompensieren würde. Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen
könnte es in Teilen Europas kälter werden als heute: Zum
einen, wenn die Strömung wider Erwarten sich rasch verändert,
etwa um die Mitte des 21. Jahrhunderts – wie in einer holländischen
Modellsimulation, bei der es dadurch zu einer deutlichen Abkühlung über
Skandinavien kam – , oder wenn die Atlantikströmung dauerhaft
versiegt, die Treibhausgase in der Atmosphäre aber in den kommenden
Jahrhunderten wieder abnehmen (ein durchaus realistisches Szenario).
So könnte nach Abklingen des Treibhauszeitalters Europa besonders
im Nordwesten um mehrere Grad kälter zurückbleiben als zuvor.“ (S.147-149)
„Der CO2-Ausstoß ist die Globalisierung negativer Folgen
par exellence: Wer im Auto, Heizung oder Kraftwerk fossile Brennstoffe
verbrennt, hat den Nutzen hier und heute. Die Folgen sind dagegen über
den ganzen Erdball und über viele Jahre in die Zukunft verteilt.
Denn CO2 ist ein langlebiges, in der Atmosphäre global gut vermischtes
Treibhausgas. Das meiste heute emittierte CO2 wird auch in Jahrzehnten
noch in der Atmosphäre sein – 7% davon sogar noch in 100000
Jahren.“ (Quelle 3, S.313)
„Die EU hat sich die Begrenzung der globalen Erwärmung auf
maximal 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zum Ziel gesetzt – ein
meines Erachtens gerade noch Vertretbares und gerade noch erreichbares
Ziel. Angesichts der bereits erfolgten Erwärmung um 0,7 °C bedeutet
dies eine weitere Erwärmung um 1,3 °C. Fast die Hälfte
dieser weiteren Erwärmung wird auch dann stattfinden, wenn wir sofort
die Konzentration der Treibhausgase stabilisieren (also die Emissionen
weltweit um 50-60% vermindern, weil das Klimasystem träge ist und
noch verzögert auf den bereits erfolgten Anstieg der Konzentration
reagiert. Daher muss rasch und entschieden gehandelt werden, um das EU-Klimaziel
noch zu erreichen.“ (Quelle 3, S. 316)
„Bisher haben wir ... allerdings die Klimarechnung ohne den Wirt,
sprich: die vermiedenen/vermeidbaren Klimafolgen gemacht. Und dieser
Wirt dürfte darauf bestehen, dass die Zeche bezahlt wird – in
Form von wirtschaftlichen Schäden, sozialen Verwerfungen und großen
Verlusten an Menschenleben. ... Es ist ausgesprochen schwierig diese
Auswirkungen präzise als Funktion der Erderwärmung zu beziffern.
... Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für wirtschaftsforschung
können bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 3,5 °C ökonomische
Verluste im Wert von 150 Billionen Dollar entstehen, bei einem Anstieg
um 4,5 °C können sich diese Verluste sogar noch verdoppeln.
Damit würden die volkswirtschaftlichen Einbußen rund zwanzigmal
so hoch liegen wie die Kosten der Klimastabilisierung auf akzeptablem
Niveau! Von praktisch unersetzlichen Werten wie menschlicher Gesundheit,
kulturelle Heimat oder Naturerbe ist bei diesem Kalkül noch nicht
mal die Rede.“ (Quelle 2, S.120/121)
„Das wahre Ausmaß des sich unerbittlich aufbauenden Anpassungsdrucks
ist leider kaum jemanden bewusst ... Um die drohende klimabedingte Völkerwanderung
im planetarischen Maßstab gewaltfrei zu „verarbeiten“,
bedarf es einer grundsätzlichen [Reform und Fortschreibung der UN-Charta]
und der Ausstattung mit höchsten politischen Kompetenzen. In ähnlicher
Weise ist die WHO an die Bedürfnisse der Zukunft anzupassen. Beispielsweise
kann man sich schwer vorstellen, dass das heutige ... internationale
Quarantänesystem dafür taugt, die Herausforderungen einer hochmobilen
Welt im Klimawandel zu bestehen. ... Eine der größte Bewährungsproben
für die institutionelle Elastizität der Menschheit wird im Übrigen
die Neuregelung der nationalen Fischfangquoten darstellen. Das jetzige
System der Hochseefischerei steht auch ohne massive Klima- und Meeresveränderungen
(Versauerung!) vor dem Kollaps. (Quelle 2, S.122/123)
„Im Grunde müssten sämtliche Planungsmassnahmen zu Raumordnung,
Stadtentwicklung, Küstenschutz und Landschaftspflege unter einen
obligatorischen Klimavorbehalt gestellt und durch geeignete Anhörungsverfahren
(„Climate Audits“) zukunftsfähig gestaltet werden. Das
Gleiche gilt für alle privaten und öffentlichen Infrastrukturgroßprojekte
(wie Talsperren und Hafenanlagen), für die Fortschreibung von Verkehrswegeplänen,
für regionale Industriepolitik (welche künftige Standortbedingungen
antizipieren muss, für die Überarbeitung nationaler Tourismuskonzepte
etc. Eine riesige Aufgabe türmt sich beispielsweise vor der EU auf,
welche ihr sündtueres und ohnehin reformbedürftiges Herzstück – die
gemeinsame Agrarpolitik – mit den Klimabedingten Veränderungen
in Europa und Übersee kompatibel machen muss. Die zuständigen
Regierungen und Behörden haben noch gar nicht erfasst, dass da eine
gewaltige Lawine auf sie zukommt, bzw. beschlossen, den fernen Donner
zu überhören. ... Die oft geführt Diskussion um „Anpassung
statt Vermeidung“ erweist sich bei näherem Hinsehen rasch
als Scheinalternative. In Wahrheit ist beides unerlässlich: Erheblich
Anpassung an den Klimawandel wird auch bei einer Erwärmung von „nur“ 2 °C
notwendig sein. Und ohne eine Begrenzung des Klimawandels auf 2 °C
wäre eine erfolgreiche Anpassung an den Klimawandel kaum möglich.
Würde es global 3, 4 oder gar 5 °C wärmer, würden
wir Temperaturen erreichen, wie es sie seit mehreren Jahrmillionen auf
der Erde nicht gegeben hat. Die Grenzen der Anpassungsfähigkeit
würden nicht nur für viele Ökosysteme überschritten.“ (Quelle
2, S.123/124)
(Einzelne Anteile der Auszüge können auch von Katherine Richardson
und Hans Joachim Schnellnhuber stammen. )
Quelle:
Stefan Rahmstorf/ Katerine Richardson: Wie bedroht sind die Ozeane. Biologische
und physikalische Aspekte, Fischer Taschenbuch Verlag, 2007, 9,95€
(Im Band wird nicht nur ein Überblick zu den Ozeanen und seinen
Lebewesen vermittelt und wie sich alles mit dem Klimawandel verändert,
sondern auch zu anderen Umweltgefährdungen, wie Ölverschmutzungen
und anderen Belastungen Stellung genommen. Resümiert wird wie eine
günstige und eine zerstörerische Perspektive für die Welt
der Ozeane aussehen könnte.)
Quelle 2:
Stefan Rahmstorf/ Hans Joachim Schellnhuber: Der Klimawandel. Diagnose,
Prognose, Therapie, Verlag C.H. Beck, 2006, 7,90 €
Quelle 3:
Treibhaus Erde. Buchbeitrag zum Kirchentag 2005
Stephan Rahmstorf, Professor für Physik der Ozeane an der Universität
Potsdam, ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen
(WBGU) und im amerikanischen „Panel on Abrupt Climate Change“.
Er ist zudem einer der Leitautoren des 4. IPCC-Berichtes.
Webseiten:
http://www.pik-potsdam.de/~stefan (Stefan Rahmstorf)
http://www.pik-potsdam.de (Potsdam-Institut für Klimaforschung)
(Zusammenstellung: Marko Ferst)
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