Klimaveränderungen und die Ozeane


Stefan Rahmstorf


„ ... welche Rolle spielen die Ozeane im Klimasystem? Im wesentlichen tun sie fünf entscheidende Dinge: Sie speichern Wärme, sie transportieren Wärme rund um den Globus, sie geben Wasser an die Atmosphäre ab, sie gefrieren, und sie speichern Gase wie Kohlendioxid und tauschen diese mit der Atmosphäre aus. Die Ozeane sind daher integraler Bestandteil des Klimasystems und genau so wichtig wie die Atmosphäre. ... Weil der größte Teil der Erde von Meeren bedeckt und die Atmosphäre für Sonnenstrahlen durchlässig ist, wird der größte Teil der eingestrahlten Sonnenenergie zunächst von den Ozeanen absorbiert. Die Meere speichern die Wärme, transportieren sie mittels Strömungen rund um den Erdball und geben sie schließlich wieder an die Atmosphäre ab. Die Ozeane kontrollieren daher, wie die Sonnenenergie in das Klimasystem gelangt und dieses antreibt. Die große Speicherkapazität der Meere stellt einen Puffereffekt dar, der jede Veränderung des Klimas abmildert.“ (S. 43)

„... die absolute Menge des im Meerwasser ... vorhandenen Kohlenstoffs ist fünfzig mal größer als die in der Atmosphäre. Bedenkt man nun den beständigen CO2-Austausch zwischen Ozeanen und Atmosphäre, wird deutlich, dass es für die Hochrechnung künftiger CO2-Konzentrationen nicht nur wichtig ist zu wissen, wie viel CO2 in die Atmosphäre freigesetzt wird, sondern auch, wie viel ins Meer gelangt – und wieviel dort verbleibt! Daher werden die Prozesse, die die Kohlenstoffaufnahme und Speicherung („Sequestration“) im Meer bestimmen, derzeit intensiv erforscht. ... Es lohnt sich, noch einen Blick auf die ungeheure Kohlenstoffmenge zu werfen, die sich auf dem Meeresboden befindet. Dieses Reservoir, das auf 30 Millionen Gigatonnen geschätzt wird, stellt die bei weitem größte Kohlenstoffanhäufung auf der Erde dar. ... Das meiste davon stammt natürlich aus herabgesunkenem organischem Material (größtenteils abgestorbene Pflanzen und Tiere)“ (S.87/88)

„Die Kohlendioxidkonzentration der Erdatmosphäre ist in den vergangenen 150 Jahren um ein Drittel gestiegen, von 280 ppm (parts per Million = Teile pro Million Teile) auf inzwischen 380 ppm im Jahr 2006. Damit hat die CO2-Konzentration den höchsten Wert seit mindestens 650000 Jahren erreicht (so weit gehen die genauen CO2-Daten aus Eisbohrkernen zurück), wahrscheinlich aber sogar seit Millionen von Jahren. Dieser Anstieg ist vollständig vom Menschen verursacht worden: Die zusätzlichen 100 ppm in der Atmosphäre entsprechen sogar nur etwa der Hälfte der Menge, die wir emittiert haben. Hätten die Ozeane und die Wälder nicht einen Teil unserer Emissionen aus der Atmosphäre aufgenommen, dann hätten wir also bereits den nahezu doppelten Anstieg der atmosphärischen Konzentration verursacht. ... Die Konzentration von Methan hat sich mehr als verdoppelt, während die Stickoxidkonzentrationen um ein Fünftel gestiegen ist. Andere Gase kommen von Natur aus gar nicht in der Atmosphäre vor und sind überhaupt erst durch den Menschen dorthin gelangt: Die Flurkohlenwasserstoffe (FCKW).“ (S.105/106)

„Könnte es noch schlimmer kommen? Wenn auch nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht sehr wahrscheinlich, ist leider auch dies nicht ausgeschlossen – neuere Studien, die seit der Publikation des letzten IPCC-Berichtes (2001) durchgeführt wurden, deuten auf die Gefahr einer größeren Freisetzung von CO2 aus der Biosphäre infolge der Erwärmung hin. Dadurch würde die Konzentration auf noch höhere Werte steigen, und sogar eine Erwärmung um 7 bis 8 °C wäre möglich. Könnte es auch glimpflicher ausgehen als 2°C Erwärmung? Nichts spricht dafür, dass die Natur uns auf einmal einen noch größeren Anteil unserer Emissionen abnehmen wird als bislang.“ (Quelle 2, S.49-50)

„Tatsächlich beobachtet man in Teilen des Polarmeeres in den letzten Jahrzehnten eine Erwärmung von über 3 °C, also ein Mehrfaches des globalen Trends. Gleichzeitig schrumpft die Fläche des Eises immer mehr – bislang um 20 % seit Beginn der Satellitenbeobachtungen im Jahr 1979. Eine neue, 2006 veröffentlichte Studie kommt zum Ergebnis, dass bereits im Jahr 2040 das Polarmeer im Sommer weitgehend eisfrei sein könnte. Frühere Modellrechnungen sagten dies erst für das letzte Viertel des Jahrhunderts voraus.“ (S.114/115)

„Die Erde hat derzeit zwei große kontinentale Eisschilde, in Grönland und der Antarktis. Dies war nicht immer so – vor Jahrmillionen zu Zeiten höherer CO2-Konzentrationen und wesentlich wärmeren Klimas, war die Erde praktisch eisfrei. Die derzeitigen Eisschilde sind 3 bis 4 km dick. Wie wird sich die aktuelle Erwärmung auf die Eismassen auswirken? Das Grönlandeis erhält in den zentralen Bereichen durch Schneefälle ständig Nachschub; an den Rändern schmilzt es hingegen. Normalerweise sind beide Prozesse im Gleichgewicht. Erwärmt sich das Klima, dehnt sich die Schmelzzone aus und das Abschmelzen beschleunigt sich; auch Niederschläge können zunehmen. Insgesamt verändert sich die Massenbilanz so, dass das Eis (ähnlich wie die ... Gebirgsgletscher) an Masse verliert. ... Modellrechnungen haben ergeben; das bei einer lokalen Erwärmung von 3 °C (die schon bei einer globalen Erwärmung um global weniger als 2 °C erreicht werden könnte) wahrscheinlich das gesamte Grönlandeis allmählich abschmelzen wird. Dabei spielt eine verstärkende Rückkopplung eine zentrale Rolle: Sobald der Eispanzer dünner wird, sinkt seine Oberfläche in niedrigere und damit wärmere Luftschichten ab, was das Abschmelzen noch beschleunigt. Das Grönlaneis war bisher deshalb so stabil, weil auf Grund seiner Dicke große Bereiche in mehreren tausend Metern Höhe und damit in sehr kalter Luft liegen. ... In den letzten Jahren beobachtet man in Grönland dynamische Prozesse, insbesondere ein schnelleres Fließen des Eises, die ein rascheres Abschmelzen ermöglichen als bislang erwartet.“ (Quelle 2, S.61)

„Das Grönlandeis bindet eine Wassermenge, die bei seinem kompletten Abschmelzen einen weltweiten Meeresspiegelanstieg von 7 m bedeuten würde. Im westantarktischen Eisschild sind 6 m Meeresspiegel gespeichert, im Ost-Antarktischen Eisschild (das bislang als weitgehend stabil gilt) sogar über 50 m. Die Stabilität der Eisschilde in Grönland und der West-Antarktis ist daher die große Unbekannte bei Abschätzungen des künftigen Meeresspiegelanstiegs.“ (Quelle 2, S.64)

„Neben den Treibhausgasen gibt es noch einen weiteren wichtigen Einfluß des Menschen auf das Klima zu berücksichtigen: Die Verschmutzung der Atmosphäre mit Partikeln (Staub, Ruß, Schwefelteilchen und so weiter.), den sogenannten Aerosolen, die der Volksmund auch Smog nennt. Diese Teilchen reflektieren Sonnenlicht und haben dadurch eine abkühlende Wirkung auf das Klima. Sie läßt sich deutlich weniger leicht bestimmen als die Wirkungen der Treibhausgase – die Zahl ist daher unsicherer, doch liegt sie nach den besten Abschätzungen bei etwa 1,2 W/m2. Dadurch wird etwa ein Drittel der Treibhauswirkung kompensiert – allerdings nur, wenn man globale Mittelwerte betrachtet, denn im Unterschied zu den langlebigen und deshalb in der Atmosphäre gut durchmischten Treibhausgasen ist das Vorkommen von Smog regional sehr unterschiedlich – und damit auch seine Strahlungswirkung auf das Klima.“ (S.107/108)

„ ... das entstandene Ungleichgewicht führt zwangsläufig zu einer Erwärmung der Klimas. Das genaue Ausmaß der Erwärmung ist nicht einfach zu berechnen, da es von mehreren Rückkopplungseffekten abhängt, die es verstärken oder abschwächen können. Zu diesen zählen Veränderungen in der Wasserdampfkonzentration in der Atmosphäre, denn Wasserdampf ist das wichtigste Treibhausgas und seine Konzentration steigt bei wärmeren Temperaturen – jede Erwärmung (oder auch Abkühlung) des Klimas wird dadurch also verstärkt. Dazu zählen auch Veränderungen bei der Bewölkung – Wolken in unterschiedlicher Höhe und unterschiedlichen Typs können die Erwärmung sowohl abschwächen als auch verstärken. Und dazu zählen schließlich Veränderungen in der Schnee- und Eisbedeckung unseres Planeten. Da helle Eisflächen viel Sonnenstrahlung reflektieren, führt eine Abnahme der Eisbedeckung zur Aufnahme von mehr Sonnenwärme und verstärkt damit die Erwärmung, insbesondere natürlich in hohen Breitengraden. ... In der Summe wirken sich die Rückkopplungen verstärkend auf den Klimawandel aus. Dies sagen einerseits alle Modellrechnungen. Vor allem wird dies aber durch die Klimageschichte belegt, in der es immer wieder drastische Klimaveränderungen gab (zum Beispiel die bekannten Eiszeiten). Wirkten die Rückkopplungen im Klimasystem insgesamt abschwächend und nicht verstärkend, dann wären auch diese natürlichen Klimaveränderungen in der Vergangenheit wesentlich schwächer und unspektakulärer ausgefallen.“ (S.108/109)

„Wenn der Kohlendioxidgehalt in der Luft weiter unkontrolliert zunimmt, wird es voraussichtlich bis 2065 in den Weltmeeren keine Regionen mehr geben, wo die chemischen Verhältnisse noch die Bildung von Calciumcarbonat durch Korallen zulassen. ... Als Folge der höheren atmosphärischen CO2-Konzentration wird ein abnehmender pH-Wert (das heißt zunehmende Versauerung) der Oberflächenwasser des Ozeans vorhergesagt, und in einigen Gegenden ist dies in der Tat auch schon gemessen worden. ... Je niedriger der pH-Wert des Ozeans wird, desto weniger Kohlenstoff in Form von CO32- ist vorhanden. ... CO32- ist ein notwendiger „Baustein“ des Calciumcarbonats, und es gibt sehr viel Meeresorganismen, die Calciumcarbonat produzieren. Dazu zählen Muscheln, einige Seegrasarten, Seesterne, Korallen und – wohl am wichtigsten – die winzigen Lebewesen wie Coccolithophoriden, Pteropoden und Foraminiferen, die die Carbonatpumpe antreiben ..., mit denen Kohlenstoff in Form von Calciumcarbonat von der Oberfläche in das Bodenwasser transportiert wird. Wenn der pH-Wert sinkt und weniger CO32- zur Verfügung steht, fällt es solchen Organismen immer schwerer, ihr Calciumkarbonat herzustellen und auch zu behalten, denn unter sauren Bedingungen wird Calciumcarbonat aufgelöst.“ (S.162-164)

„Wie sehen die Langzeittrends bei den Tropischen Wirbelstürmen aus? In der Gesamtzahl dieser Stürme weltweit lässt sich bislang keine eindeutige Entwicklung erkennen, auch wenn die Häufigkeit im Atlantik in den letzten 10 Jahren deutlich über dem Durchschnitt lag. Auswertungen von Satellitendaten und Flugzeugmessungen zeigen jedoch eine deutliche Zunahme der Stärke von tropischen Wirbelstürmen seit 1970. Eine amerikanische Forschergruppe um Peter Webster fand, dass die Zahl der Tropenstürme der beiden stärksten Kategorien (4 und 5) sich nahezu verdoppelt hat, von 10 pro Jahr in den 1970er Jahren auf 18 pro Jahr im vergangenen Jahrzehnt. Die Anzahl der schwächsten Hurrikane (Kategorie 1) hat dagegen deutlich abgenommen ...“ (S.141)

„Auf Stürme in den mittleren Breiten wirken widerstreitende Trends ein. So vermindert die besonders starke Erwärmung der Pole das Temperaturgefälle zwischen Äquator und hohen Breiten, was die Sturmstärke verringern sollte. Andererseits kühlt sich die Stratosphäre ab, was den vertikalen Temperaturgradienten erhöht und die Stürme verstärken könnte. Dies sind nur zwei von mehreren Faktoren. Klimamodelle und selbst die höher auflösenden Wettermodelle geben gerade die Windgeschwindigkeiten der stärksten Stürme bislang nur mangelhaft wieder. Ob außertropische Stürme weltweit eher zu- oder abnehmen werden, ist daher bislang unklar. Schaut man eine bestimmte Region an, kommt es darüber hinaus weniger auf eine mögliche globale Zu- oder Abnahme an, sondern darauf wie sich die Zugbahnen von Stürmen verlagern. Für Europa ist damit zu rechnen, daß die Wege der atlantischen Tiefdruckgebiete sich eher nach Norden verlagern, so daß in Nordeuropa mehr, in Südeuropa dagegen eher weniger Stürme auftreten.“ (S.145)

„... der Golfstrom wird überwiegend vom Wind angetrieben und ist ein Teil des großen Subtropenwirbels. Er kann daher niemals versiegen, solange die Winde weiter wehen (was außer Frage steht). Die Medienberichte über sein Versiegen sind einfach auf eine begriffliche Unschärfe zurückzuführen. Ozeanographen unterscheiden zwischen dem Golfstrom im westlichen Atlantik und seinem verlängerten Arm, dem Nordatlantikstrom, der im Nordatlantik bis an die europäischen Küsten strömt. Der Nordatlantikstrom könnte tatsächlich versiegen ...“ (S.146)

„ Die globale Erwärmung könnte das Absinken von Tiefenwasser und damit das ganze thermohaline Zirkulationssystem auf zwei Arten stören. Erstens erschwert die Erwärmung ein Absinken, weil wärmeres Wasser leichter ist als kaltes. Zweitens bringt die Erwärmung mehr Niederschläge in die hohen Breiten, der Abfluß von Flüssen erhöht sich (ein bereits gemessener Trend), und durch Abschmelzen von Eis gelangt zusätzliches Süßwasser ins Meer. Dadurch nimmt im nördlichen Atlantik der Salzgehalt ab – auch dies ist ein seit Jahrzehnten anhaltender, beobachteter Trend. Allerdings ist diese Salzgehaltsabnahme bislang nach Simulationsrechnungen noch zu gering um einen Einfluß auf die Strömung zu haben.
Die entscheidenden Fragen sind: Wieviel Süßwassereintrag ist erforderlich, um die Strömung zum Erliegen zu bringen? Und wie viel Süßwassereintrag können wir – bei ungebremster globaler Erwärmung – künftig erwarten? Leider sind beide Fragen nur sehr unsicher zu beantworten. Modelle und Daten aus der Klimageschichte deuten darauf hin, dass ein Süßwassereintrag von 100000 Kubikmetern pro Sekunde wohl eine kritische Menge darstellt – aber dies ist nur eine grobe Größenordnung. Und der künftig zu erwartende Süßwassereintrag hängt vor allem vom Schmelzen des Grönlandeises ab, über dessen Zukunft man ... keine gesicherten Aussagen machen kann. Ein Abschmelzen über 1000 Jahre hinweg wäre gerade mit einem mittleren Abfluß von Schmelzwasser von 100000 Kubikmetern pro Sekunde verbunden. In den heutigen Klimamodellen ist dies in der Regel gar nicht enthalten, so dass diese Modelle kaum für Prognosen über das Verhalten der Strömung geeignet sind. Angesichts dieser Unsicherheiten muß man von einem schwer kalkulierbaren Risiko sprechen. ... Wir haben bereits Mitte der 1990er Jahre in Publikationen darauf hingewiesen, dass die globale Erwärmung (die ja Voraussetzung dieser Szenarien ist) eine Abkühlung durch die ausbleibende Strömungswärme mehr als kompensieren würde. Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen könnte es in Teilen Europas kälter werden als heute: Zum einen, wenn die Strömung wider Erwarten sich rasch verändert, etwa um die Mitte des 21. Jahrhunderts – wie in einer holländischen Modellsimulation, bei der es dadurch zu einer deutlichen Abkühlung über Skandinavien kam – , oder wenn die Atlantikströmung dauerhaft versiegt, die Treibhausgase in der Atmosphäre aber in den kommenden Jahrhunderten wieder abnehmen (ein durchaus realistisches Szenario). So könnte nach Abklingen des Treibhauszeitalters Europa besonders im Nordwesten um mehrere Grad kälter zurückbleiben als zuvor.“ (S.147-149)

„Der CO2-Ausstoß ist die Globalisierung negativer Folgen par exellence: Wer im Auto, Heizung oder Kraftwerk fossile Brennstoffe verbrennt, hat den Nutzen hier und heute. Die Folgen sind dagegen über den ganzen Erdball und über viele Jahre in die Zukunft verteilt. Denn CO2 ist ein langlebiges, in der Atmosphäre global gut vermischtes Treibhausgas. Das meiste heute emittierte CO2 wird auch in Jahrzehnten noch in der Atmosphäre sein – 7% davon sogar noch in 100000 Jahren.“ (Quelle 3, S.313)

„Die EU hat sich die Begrenzung der globalen Erwärmung auf maximal 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zum Ziel gesetzt – ein meines Erachtens gerade noch Vertretbares und gerade noch erreichbares Ziel. Angesichts der bereits erfolgten Erwärmung um 0,7 °C bedeutet dies eine weitere Erwärmung um 1,3 °C. Fast die Hälfte dieser weiteren Erwärmung wird auch dann stattfinden, wenn wir sofort die Konzentration der Treibhausgase stabilisieren (also die Emissionen weltweit um 50-60% vermindern, weil das Klimasystem träge ist und noch verzögert auf den bereits erfolgten Anstieg der Konzentration reagiert. Daher muss rasch und entschieden gehandelt werden, um das EU-Klimaziel noch zu erreichen.“ (Quelle 3, S. 316)

„Bisher haben wir ... allerdings die Klimarechnung ohne den Wirt, sprich: die vermiedenen/vermeidbaren Klimafolgen gemacht. Und dieser Wirt dürfte darauf bestehen, dass die Zeche bezahlt wird – in Form von wirtschaftlichen Schäden, sozialen Verwerfungen und großen Verlusten an Menschenleben. ... Es ist ausgesprochen schwierig diese Auswirkungen präzise als Funktion der Erderwärmung zu beziffern. ... Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für wirtschaftsforschung können bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 3,5 °C ökonomische Verluste im Wert von 150 Billionen Dollar entstehen, bei einem Anstieg um 4,5 °C können sich diese Verluste sogar noch verdoppeln. Damit würden die volkswirtschaftlichen Einbußen rund zwanzigmal so hoch liegen wie die Kosten der Klimastabilisierung auf akzeptablem Niveau! Von praktisch unersetzlichen Werten wie menschlicher Gesundheit, kulturelle Heimat oder Naturerbe ist bei diesem Kalkül noch nicht mal die Rede.“ (Quelle 2, S.120/121)

„Das wahre Ausmaß des sich unerbittlich aufbauenden Anpassungsdrucks ist leider kaum jemanden bewusst ... Um die drohende klimabedingte Völkerwanderung im planetarischen Maßstab gewaltfrei zu „verarbeiten“, bedarf es einer grundsätzlichen [Reform und Fortschreibung der UN-Charta] und der Ausstattung mit höchsten politischen Kompetenzen. In ähnlicher Weise ist die WHO an die Bedürfnisse der Zukunft anzupassen. Beispielsweise kann man sich schwer vorstellen, dass das heutige ... internationale Quarantänesystem dafür taugt, die Herausforderungen einer hochmobilen Welt im Klimawandel zu bestehen. ... Eine der größte Bewährungsproben für die institutionelle Elastizität der Menschheit wird im Übrigen die Neuregelung der nationalen Fischfangquoten darstellen. Das jetzige System der Hochseefischerei steht auch ohne massive Klima- und Meeresveränderungen (Versauerung!) vor dem Kollaps. (Quelle 2, S.122/123)

„Im Grunde müssten sämtliche Planungsmassnahmen zu Raumordnung, Stadtentwicklung, Küstenschutz und Landschaftspflege unter einen obligatorischen Klimavorbehalt gestellt und durch geeignete Anhörungsverfahren („Climate Audits“) zukunftsfähig gestaltet werden. Das Gleiche gilt für alle privaten und öffentlichen Infrastrukturgroßprojekte (wie Talsperren und Hafenanlagen), für die Fortschreibung von Verkehrswegeplänen, für regionale Industriepolitik (welche künftige Standortbedingungen antizipieren muss, für die Überarbeitung nationaler Tourismuskonzepte etc. Eine riesige Aufgabe türmt sich beispielsweise vor der EU auf, welche ihr sündtueres und ohnehin reformbedürftiges Herzstück – die gemeinsame Agrarpolitik – mit den Klimabedingten Veränderungen in Europa und Übersee kompatibel machen muss. Die zuständigen Regierungen und Behörden haben noch gar nicht erfasst, dass da eine gewaltige Lawine auf sie zukommt, bzw. beschlossen, den fernen Donner zu überhören. ... Die oft geführt Diskussion um „Anpassung statt Vermeidung“ erweist sich bei näherem Hinsehen rasch als Scheinalternative. In Wahrheit ist beides unerlässlich: Erheblich Anpassung an den Klimawandel wird auch bei einer Erwärmung von „nur“ 2 °C notwendig sein. Und ohne eine Begrenzung des Klimawandels auf 2 °C wäre eine erfolgreiche Anpassung an den Klimawandel kaum möglich. Würde es global 3, 4 oder gar 5 °C wärmer, würden wir Temperaturen erreichen, wie es sie seit mehreren Jahrmillionen auf der Erde nicht gegeben hat. Die Grenzen der Anpassungsfähigkeit würden nicht nur für viele Ökosysteme überschritten.“ (Quelle 2, S.123/124)

(Einzelne Anteile der Auszüge können auch von Katherine Richardson und Hans Joachim Schnellnhuber stammen. )

Quelle:
Stefan Rahmstorf/ Katerine Richardson: Wie bedroht sind die Ozeane. Biologische und physikalische Aspekte, Fischer Taschenbuch Verlag, 2007, 9,95€
(Im Band wird nicht nur ein Überblick zu den Ozeanen und seinen Lebewesen vermittelt und wie sich alles mit dem Klimawandel verändert, sondern auch zu anderen Umweltgefährdungen, wie Ölverschmutzungen und anderen Belastungen Stellung genommen. Resümiert wird wie eine günstige und eine zerstörerische Perspektive für die Welt der Ozeane aussehen könnte.)
Quelle 2:
Stefan Rahmstorf/ Hans Joachim Schellnhuber: Der Klimawandel. Diagnose, Prognose, Therapie, Verlag C.H. Beck, 2006, 7,90 €
Quelle 3:
Treibhaus Erde. Buchbeitrag zum Kirchentag 2005

Stephan Rahmstorf, Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam, ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) und im amerikanischen „Panel on Abrupt Climate Change“. Er ist zudem einer der Leitautoren des 4. IPCC-Berichtes.

Webseiten:
http://www.pik-potsdam.de/~stefan (Stefan Rahmstorf)
http://www.pik-potsdam.de (Potsdam-Institut für Klimaforschung)

(Zusammenstellung: Marko Ferst)

 

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