Lesermeinungen



Der politische Geist und die Liebe zur Sprache

Der Einband motiviert schon zum Lesen, wenn man dieses Buch in der Hand hält. Aber auch von den Inhalten wird man nicht enttäuscht, so viele völlig verschiedene begegnen einem darin. So viel Leben strahlt dieses Buch aus. Vom poetisch-politischen Aufzeigen und der Kritik an bestehenden Verhältnissen und Missständen reicht es über Erinnern an vergangenes und gegenwärtiges Unrecht, bis zu wundervollen persönlichen Gedichten über die Dinge des Lebens, wie Liebe, Krankheit, Schmerz, die berühren. Mir gefällt der politische Geist, der sich durch viele der Gedichte zieht, geschrieben mit Liebe zur Sprache und der offensichtlichen Freude daran. Beeindruckend auch die Erinnerungen an Autoren wie Fried und Grass, ebenso die Darstellung von Landschaften, in einer Weise, die ein genaues Bild vor Augen entstehen lässt. Bei jedem Aufschlagen dieses Buches entdecke ich neue Gedichte und Themen. Möchte es in meinem Bücherregal nicht mehr missen. Weniger

Hanne Strack, Rüsselsheim



Eine lyrische Reise

Die Gedichte des neuen Lyrikbandes "Jahre im September" gehen nicht spurlos an mir vorbei, son-dern sie laden mich ein, länger darin zu verweilen und über jeden einzelnen Vers nachzudenken. Mir gefällt die große Themenbreite, in die ich lyrisch eintauchen darf. Marko Ferst setzt sich intensiv und kritisch mit politischen, ökologischen und kulturellen Fragen auseinander, sowie mit Themen unmit-telbar aus der Natur, der Malerei und der Musik. Stark berühren mich seine Gedichte über das men-schliche Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, so die Gedichte "Ohne Flügel", "Zwischenstand", "Für die Liebe", "Quälerei", "Schachmatt", "Verloren", "Der Schwerbeschädigten Ausweis", "Die Operation" und viele andere mehr. Besonders gefällt mir sein Gedicht "Blaue Zypresse". Hier bringt Marko Ferst das Bild "Schläferin mit Blumen" von Marc Chagall sehr schön in Worte. Und am Ende des Gedichtes fragt er: "Wo kann man noch so/ in blauen Schatten liegen/ behütet neben einer Zypresse?" - Diese Frage rüttelt mich aus meinen Träumen auf, die beim Lesen der Verse und beim Betrachten des Bildes in mir erwachen. Und ich denke: Was wären wir Menschen ohne unsere Träume? Immer wieder sehnen wir uns nach Geborgenheit und Liebe. All die Gedichte von Marko Ferst strömen eine bewegende Atmosphäre aus, sie erzeugen in mir einen ganz bestimmten Klang, fast wie eine leise Musik. So möchte ich immer wieder zu diesem Lyrikband greifen - und ich werde nicht enttäuscht. Auch die beiden Erzählungen "Arktische Begegnung" und "Das Speziallager" am Ende des Buches haben mich zum Nachdenken gebracht und tiefere Spuren in mir hinterlassen.

Kerstin Werner, Halle



Welt lyrisch zu unvermittelt vermittelt

Marko Ferst hat einen weiteren Gedichtband vorgelegt, einen sehr umfassenden Band, in der Tat, größtenteils beinhaltend Gedichte in freien Rhythmen, die sich vornehmlich um "Natur" (Schweden, Ostsee, Ural) und auch "Politik" drehen. Es sind inhaltlich überwiegend wenig sperrige Gedichte, in den Metaphern nicht zu "postmodern-experimentell" oder überladen, sodass der Leser größtenteils weiß, in welche gedankliche (politische?) Richtung ihn der Dichter "lenken" möchte. Zuweilen sind mir die "Botschaften" doch zu unvermittelt vermittelt (Beispiele "Monsanto" oder "Wie man Naturschutz aushebelt"); insgesamt lassen die Gedichte zu wenig Raum für eigene Interpretation, für das Selbst-Nachdenken über die von Ferst in Sprache gegossene Welt, wenngleich es auch sehr "schöne" Gedichte gibt, die durchaus das Zeug dazu haben, eines Tages einmal in einen Kanon aufgenommen zu werden, wie zum Beispiel "Kirschen", ein 11-zeiliges Gedicht, das sowohl inhaltlich als auch sprachlich beinahe Rilke-Niveau erreicht.
Gleichsam aufgefüllt wird der Band zum Schluss hin mit zwei Erzählungen, die sich Ferst vielleicht doch besser für einen externen Band aufgespart hätte, denn sie wirken in einem Kosmos der Lyrik doch etwas wie "Fremdkörper". Was mir indes als Leser auffällt: Das ganze weite Universum des "Menschlich-Allzumenschlichen" (Liebe, Sexus, Verlust, Trauer, Schmerz, Angst, Tod usf.) kommt mir persönlich etwas zu kurz. Hier hätte ich mir doch ein bisschen mehr gewünscht, zumal es das existenziell Menschliche ist, was ein Mensch doch am liebsten lesen und also auch literarisch erfahren mag.

Rainer Daus, Bad Berleburg



Wohltuend-angenehm konstruierte Sprachgebilde

Es gibt nicht mehr viele davon – Lyrikjägerinnen. Was heißt das? Ich bin eine Frau, die seit jeher auf der Suche ist nach neuen Gedichten, neuen Dichtern. Warum? Weil für mich das Gedicht immer noch die höchste literarische Kunstform ist, die es in der weitverzweigten Literaturwelt gibt. Allzu viel „schöne“ Lyrik lässt sich in der gegenwärtigen Literaturlandschaft nicht mehr finden (abgesehen von Ulla Hahn). Die Zeiten eines Eduard Mörike oder Rainer Maria Rilke oder auch Georg Heym sind vorbei! Umso erfreulicher ist es, wenn man wieder einmal einen Band in Händen hält, der sich fast ausschließlich der seit Jahrhunderten gepflegten deutschen Kulturform „Gedicht“ widmet. Konkret: „Jahre im September“ von Marko Ferst. 132 Gedichte aus unterschiedlichen Schaffensperioden legt Ferst vor. Die durch Sprache vermittelten Themen reichen von „Politik“ (Weltpolitik, Tagespolitik) bis Naturlyrik. Geht es um Natur, werden genau gezeichnete, sprachliche Stimmungsbilder vermittelt, wobei Ferst zuweilen auch interessante Wortneuschöpfungen (Neologismus) gelingen, wie beispielsweise „frostverkrustet“ in „Schlosspark Charlottenburg“. Geht es um Politik, rückt die Bildhaftigkeit der lyrischen Sprache in den Hintergrund und muss Platz machen der klaren politischen Botschaft, die Ferst (oder das lyrische Ich?) an den Leser weitergeben will, wie beispielsweise in „Kurswechsel“, wo eine „kurzsichtige Sozialpolitik“ angeprangert wird und „Verrückte am Werk“ sind; abgeschlossen wird dieses Gedicht mit der appellativen Verszeile: „laßt uns eigenen Kurs nehmen!“, wobei ich mich als Leserin an dieser Stelle frage, wen Ferst mit dem Pronomen „uns“ meint (mich auch?) und welcher „Kurs“ ihm vorschwebt. Insgesamt enthält dieser Lyrikband viele wohltuend-angenehm konstruierte Sprachgebilde, die sich erfreulich deutlich unterscheiden von jenen Lawinen modern daherkommender Gedichte („experimentelle Lyrik“), wie man sie neuerdings in vielen Literaturzeitschriften liest und die regelmäßig Auszeichnungen auf Lyrikwettbewerben erhalten (warum eigentlich? Weil sie keiner mehr versteht?) Kurzum: Ich habe zahlreiche dieser Ferst-Gedichte mit Genuss gelesen und ich werde sie irgendwann bestimmt wieder lesen. Und gibt es eine höhere Auszeichnung für einen lyrischen Sprach-Konstrukteur, als von einem Leser zu hören, man werde seine Gedichte zu späterer Zeit wieder lesen? Und wieder und wieder …?

Familie Freiberger, Bad Berleburg




Unterwegs in der deutschen und internationalen Landschaft

In Gedichten „Von Buchara nach Samarkand”, „Im Ural”, „In der Tundra”, „Väterchen Frost” vermittelt der Autor aus erster Hand poetisches (und unpoetisches) Wissen über das heutige Russland. Mit seinem kritischen Kommentar zu aktuellen politischen Ereignissen (Gedichte „Monsanto”, ,,Ostseegespräche”, „Finanz-Roulette”, „Von mangelnden Willen...”, „ Arabischer Wandel”) bleibt der Autor fest in der besten Tradition eines engagierten politischen Gedichts verankert. Und für das Finale bekommt der Leser eine faszinierende Arktis-Novelle. One beautiful book!

Andrzej Kikal, Szczecin


Anregung mit Wirkung

Jahre im September: Sehr beeindruckend ist die Themenvielfalt. Da wird gefühlt nichts ausgelassen; da reagiert eine Dichter-Stimme energisch, kritisch-ironisch, zuweilen verurteilend ernst auf alles, was das Leben so bietet. Dennoch zeichnen sich rote Fäden ab, die stets eine klare Haltung erkennen lassen. Liest man dann noch einmal das Gedicht „Meine Poetik“, dann wird deutlich, dass die eigenen Ansprüche auch wirklich eingelöst werden: Texte, die hinaus wollen, nicht im „Verschatteten“ verbleiben sollen; es sind auch keine eitlen Verse, die sich um eine Aussage drücken, aber dennoch Zeilen, die auf etwas vertrauen, das hier so schön mit „Magie“ beschreiben wird. Bei aller geplanten Intention, ein Gedicht zu schreiben, kommt immer etwas hinzu, was wie ein Geschenk wirkt. Es ist nicht plan- und auch nicht so ohne Weiteres machbar. Viele Texte, die mich sehr begeistern, folgen der Poetik des „Scharfstellens“. Hierzu zählen Texte, die die politischen Ereignisse, die uns teilweise in die Ferne gerückt sind, immer wieder aufnehmen und sichtbar machen. Das kritische Potential liegt dann häufig in der mikroskopisch vergrößernden Methode, die Dinge beim Namen zu nennen. Großartig: u. a. „Syrisches Totenfeld“ und „Szenario der Macht“. Gerade das letztgenannte Gedicht ist ein schönes Beispiel für die in der Poetik angesprochene und somit auch geforderte „Klare Aussprache“. Die Schlusszeile als Summe einer Haltung macht die Kraft solcher Texte aus. Ich finde das nicht übertrieben, manches muss auch deutlicher als deutlich gesagt werden, erst dann lassen einen die Gedanken (vorübergehend) mal los. Natürlich wissen wir nicht, welche Wirkungen solche Verse haben, aber ich denke, wir können sicher sein, dass sie nicht unnütz in der Welt sind. Sie schärfen die Wahrnehmung und helfen mindestens zu erkennen, dass man nicht allein mit solchen Positionen dasteht. Deshalb gilt das Motto aus der Poetik: „schöpfen mit der Wörterkelle/ austeilen“. Eines seiner großen Themen ist die Ökologie. Repräsentativ steht hierfür das Gedicht „Hochgebirge“. Solche Texte laden zum „Mitgehen“ in der Erkenntnis ein. Sie haben oft diesen einfachen lakonischen Ton und bohren sich langsam ins Gedächtnis. Da ist wenig Überschäumendes, eher antippendes Zeigen. Ein „Wandern mit Sinn“? Der abschließende Appell ist wieder klar und deutlich und lässt nichts offen: Die „alten Rechnungen“ gehen nicht auf, lasst uns was Neues machen! Noch eine große Gruppe von Texten widmet sich der eigenen Existenz, der Bestandsaufnahme des Gültigen, der Verunsicherung, der duldsamen Übereinkunft mit dem, wie es ist. Nicht alles lässt sich ändern, Prozesse verschleppen sich, die Politik schlägt oft Blasen. Was also bleibt? Manchmal wohl doch ein „Auffliegen ohne Flügel“. Denn, was „alles hätte sein können“, wissen wir nicht. Es bleibt doch immer wieder Hoffnung in den Versen zurück, auch wenn sie das eine oder andere Mal zugedeckt scheint. In „Existentiell“ sind die Gedanken, die den Dichter nun mal ausmachen, schon fast gänzlich „abkommandiert/ vom Sog der Totenflüsterer“ (ein großes Gedicht!) … und „Danach?“ fragt das Gedicht: „Aufwachen im Niemandsland“. Die Antwort wird nicht das Gedicht „Blickwinkel“ sein. Denn hier, wenn ich es richtig verstehe, wird eine Mahnung ausgesprochen, die wieder dazu aufruft, zu handeln und zwar JETZT. Sehr schön der abschließende Vers, denn er klagt nicht nur an, sondern bezieht die Leser*innen in besonderer Weise mit ein. WIR sind die Jetztlebenden, wir sind die Mitverursacher, sucht sie nicht woanders, es sind unsere Maximen unserer eigenen Ansprüche, die letztlich den Planeten ruinieren. Also, kein „Niemandsland“ und auch kein „Totenflüsterer“, der uns das sichere Geleit in die Tatenlosigkeit gibt, sondern inneren Aufruhr, dann auch handeln, nicht zuschauen, so verstehe ich diese Zeilen. Auch dieser Text bleibt eher in der so typischen lyrischen Prosa oder umgedreht in der prosaischen Lyrik, dieser Stil „kümmert“ sich augenscheinlich nicht um äußere Formmerkmale, wie sie in anderen Jahrhunderten für die Lyrik gefordert wurden. Auch in der Poetik heißt es: „Sich um Vorschriften/ nicht kümmern“. Und dennoch folgt der Text einer inneren Vorgabe, die in der äußeren Bauform zunächst nicht sichtbar wird. Die einzelnen Verse gleiten ruhig und beherzt von einem Gedanken zum anderen und orientieren sich an der natürlichen Betonung der gesprochenen Sprache. Die Gestaltung macht die Satzzeichen überflüssig und unterstützt den Rhythmus, der die Lesenden nicht in die Ecke drängt, sondern aufnimmt, aufrichtet und vor die Frage stellt: „Würden wir …? Eine rhetorische Frage? Natürlich. Aber nicht ohne Wirkung! Brecht und Fried hätten ihre Freude an diesem Gedicht! Schaut man dann auf den Text „Neue Sichten“, so wird klar, dass die Hoffnung am Ende nicht stirbt: „Antworten finden/ trotz waghalsiger Steigbügel“ könnte dem gesamten Gedichtband überschrieben sein. Das lyrische Ich kämpft, gibt nicht auf, setzt erneut mit „der Fähre über“, löst sich von Trugbildern und wirft sich immer wieder hinein in das Weltengetümmel. Das geschieht hier mit dem Werkzeug, besser mit dem Instrument der Sprache, das nicht nur klingen, sondern etwas sagen will. Ich finde, das ist wirklich gelungen! Auch wenn viele schöne Texte hier nicht erwähnt wurden, so bleiben sie mir doch in Wort und angesagter Tat erhalten. Sie sind Anregung und haben gewiss ihre Wirkung, vor allem „immer gut/ für eine Übertretung“. Sehr zu empfehlen!

Magnus Tautz, Berlin



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