Leseprobe aus "Ökologisches Umhandeln ist möglich"


Franz Alt


In Deutschland fehlt es zur Jahrtausendwende nicht mehr am Umweltbewußtsein, es fehlt aber am ökologischen Verhalten. Wir tun nicht, was wir wissen. Alle sind umweltbewußt und der Natur geht es immer schlechter. Woher kommt diese Diskrepanz? Besteht noch eine Chance, die Kluft zwischen Wissen und Tun zu schließen?
Die Umwelt-Psychologin Sigrun Preuss sagt zurecht: "Die wirkliche Umweltkatastrophe sind wir selbst". Die Ursachen der Krisen sind nicht einfach in einer "falschen Wirtschaftspolitik" oder an "machtbesessenen Politikern" auszumachen. Die eigentliche Ursache unserer Krise reicht tief in die individuelle und kollektive Psyche. Unsere einzige Chance zum Überleben liegt in der Überwindung des jahrtausendealten Dua-lismus Mensch - Natur.
Alle heutigen politischen Parteien, die mehr oder weniger überzeugend "Umwelt"-Politik verkünden, meinen eine Politik, in deren Mittelpunkt wie selbstverständlich "der Mensch" steht. Dieses Bekenntnis fehlt in keiner Sonntags- oder Wahlkampfrede, in keinem Regierungs- oder Grundsatzprogramm. Und genau hier liegt die Wurzel des Übels. Aus dieser rein anthropozentrischen Weltsicht, die uns noch immer so anrührend fortschrittlich scheint, resultieren die bisherigen und erst recht die bevorstehenden ökologischen Katastrophen. Ein neues ethisches Grundverständnis, meint nicht mehr das bisherige "Umwelt"-Bewußtsein mit uns Menschen im Mittelpunkt, sondern ein "Mitwelt"-Bewußtsein, das uns Menschen als Teil im ökologischen Ganzen versteht. Juristisch formuliert: Menschliches Denken und Handeln sollte immer auch anwalt-schaftliches, treuhänderisches Denken und Handeln für die Natur, also für die Tiere und Pflanzen sein. Diese "Tiefen-Ökologie" wird so zur Schlüsselerfahrung menschlicher Erkenntnis.
Auch die heutigen Umweltbewegungen - weitgehend großstädtisch geprägt - gehen noch überwiegend von einer Politik aus, in deren Mittelpunkt wir Menschen stehen. Die Mitwelt interessiert uns insofern nur als sie menschliche Interessen, menschliche Werte, menschliche Rechte und menschliches Wohlbefinden tangiert. Die heutige Politik auf der ganzen Welt ist noch weit davon entfernt, der natürlichen Mitwelt eine eigene Würde und eigene Werte zuzugestehen.
Das egozentrische Weltbild ist am Anfang des 21. Jahrhunderts ähnlich antiquiert wie vor 450 Jahren das geozentrische Weltbild. Daß die Erde Mittelpunkt der Welt sei, war damals ein Dogma so wie heute die Formel: "Der Mensch steht im Mittelpunkt der Politik." Bis weit in die Grüne Partei und in die Umweltschutzbewegungen hinein, scheint eine radikalere Umkehr nötig als wir bisher vermuteten. Die sogenannte Umweltkrise ist nur der sichtbare Teil unserer Innenweltkrise. Die rot-grüne Bundesregierung versprach zwar einen Wechsel der Personen, was wir aber wirklich brauchen ist ein Wandel. Nur ein Wandel in der Gesellschaft wird zu einer wirklich neuen Politik führen, die diesen Namen auch verdient. Die Naturwissenschaft hat im 16. Jahrhundert damit begonnen, die alten religiösen Weltbilder abzulösen. Genau dasselbe macht heute eine ganzheitlich-ökologische Wissenschaft mit dem bisherigen mechanistisch-mathematischen Weltbild.
Allerdings: Die bereits wahrnehmbaren Umrisse des neuen ganzheitlichen-ökologischen Weltbildes bedeuten noch nicht die Rettung aus der ökologischen Krise. Nicht nur die bisherigen Weltwirtschaftsgipfel und die deutschen Wahlkämpfe, sondern auch die Umweltgipfel von Rio und die folgenden Klimagipfel haben deutlich gemacht, daß die politischen Führer das Ausmaß der Krise nicht einmal im Ansatz begreifen. Arbeitsplätze sind ihnen immer noch wichtiger als Lebensplätze für Mensch, Tier und Pflanzen. So wird am globalen Selbstmord-Programm munter weitergearbeitet. Politik und Wirtschaft forcieren die allgemeine Zivilisationsneurose nach dem Motto: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Und fast niemand fragt nach dem SINN des Wachstums. Oder nach dem Sinn von Arbeit. Arbeiten wir um zu leben oder leben wir um zu arbeiten? Der Unterschied zwischen politischen Phrasen und politischen Taten ist riesig. Auch bei dem oft gehörten Hinweis, daß das "Mitwelt"-Bewußtsein unten doch viel weiter entwickelt sei als "bei denen da oben" bleibe ich skeptisch. Bei einer ARD-Umfrage haben über 80 Prozent unserer Zuschauer gesagt, sie würden sich gerne mit biologisch angebauten Lebensmitteln ernähren. Bei der Nachfrage erfuhren wir dann, daß es nur fünf Prozent tatsächlich auch tun.
Menschen, Tiere und Pflanzen sind eine Schicksalsgemeinschaft. Unsere heutige Beziehung zur Natur gleicht unserem Privatleben. Viele sagen: "Ich liebe Dich" - und scheitern. Es gibt keine Automatik zum Guten. Das Gegenteil von "gut gemacht" ist "gut gemeint". Der pausbäckige Optimismus von Wahlkämpfern reicht sowenig für die Rettung der species Mensch auf diesem Planeten wie das Schüren der Angst durch Apokalyptiker. Das 21. Jahrhundert wird nur dann ein lebensfreundliches, wenn die Ökologie zum neuen Organisationsprinzip der gesamten Politik wird. Das wird aber nur möglich sein, wenn von unten von vielen Einzelnen Menschen nicht nur umgedacht, sondern auch umgehandelt wird.
Was also tun? Der Weg vom Kopf zur Hand ist weit. Die Ökologisierung der Politik wird nur von unten und nur von innen gelingen. Wir haben alle technischen Voraussetzungen für eine radikale solare Energiewende, eine ökologische Verkehrswende sowie für eine neue Wasser- und Erdpolitik. Wir brauchen aber nicht nur Naturschutzgebiete, sondern auch Seelenschutzgebiete, wo von innen eine neue ökologische Mitwelt-Kultur wachsen kann. "Glückliche Menschen machen weniger kaputt. Unglückliche Menschen können weder sich selbst noch der Umwelt helfen", schreibt die Theologin Beate Seitz-Weinzierl.