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Schlüsseltexte
wider die Wachstumsideologie
Band mit zentralen Aufsätzen des konservativen Umweltvordenkers
Herbert Gruhl erschienen
Marko Ferst
Hanspeter Padrutt spricht davon Herbert Gruhl wäre der Vater
der Umweltbewegung in Deutschland. Dieser Gedanke ist nicht abwegig,
soweit er auf Westdeutschland bezogen wird. Er ist der erste prominente
Umweltpolitiker im deutschen Parlament. Sein Bestseller von 1975 „Ein
Planet wird geplündert“ verkauft sich über 400.000
mal. Er plädiert dort für eine planetare ökologische
Wende. Wir müssen von den Grenzen unser Erde ausgehen und von
daher unser Handeln bestimmen. Der Schwerpunkt seiner Kritik am bisherigen
Wirtschaftssystem liegt auf den begrenzten Ressourcen, die in einer
Wachstumsorgie geschichtlich beispiellosen Ausmaßes verschwendet
werden. Jetzt gab Volker Kempf gesammelte Schlüsseltexte, Interviews
und Reden des Philosophen und Umweltpolitikers heraus, die einen guten Überblick über
sein Wirken ermöglichen - ein verdienstvolles Unterfangen. Leider
ist der Band nicht ganz preiswert, doch der Weg zur Bibliothek lohnt.
Von 1975 bis 1977 war Herbert Gruhl Vorsitzender des Bundes für
Umwelt- und Naturschutz. Bis 1978 für die CDU im Bundestag, gründet
er die „Grüne Aktion Zukunft“ und bestreitet zwei Jahre
später zusammen mit Petra Kelly die Spitzenkandidatur für die
junge grüne Partei. Mit 3,2% wird ein erster Achtungserfolg erreicht.
Schon 1981 verläßt er aber die Grünen wieder. Aus den
jetzt dokumentierten Texten kann man ersehen, daß ein zentraler
Kritikpunkt an der Partei war, daß sie die Konsequenzen einer Gesellschaft
ohne Wirtschaftswachstum nicht in ihre Pro-grammatik und in ihr Handeln
aufnahm. Er gründet die ÖDP, die er 1989 ebenfalls verläßt.
Sodann konzentriert er sich auf sein letztes Werk: „Himmelfahrt
ins Nichts“. Für seine Verdienste im Natur- und Umweltschutz
erhielt er 1991 das Bundesverdienstkreuz von Monika Griefahn überreicht.
Die CDU hielt er für industriegläubig, den langjährigen
Parteichef Kohl für ökologisch ignorant und unsensibel.
Er argumentiert, wenn ein Rohstoff bei gleichbleibenden Verbrauch 1000
Jahre reicht, dann ist er bei 3% Wachstumsrate nur noch für 171
Jahre verfügbar. Steigt dieser global jährlich um 6%, dann
schrumpft die Spanne der Verfügbarkeit auf 71 Jahre – ein
Menschleben. Ein Blick darauf, daß in den nächsten Jahren
etwa die Nachfrage von Erdöl unter das lieferbare Angebot fallen
wird, zeigt wie aktuell seine Argumentation ist. Er spricht sich gegen
die Nutzung der unberechenbaren Atomenergie aus und warnt vor den Folgen
der Klimakatastrophe.
Schon frühere Kulturen gingen unter oder die Gesellschaften mußten
auswandern, weil sie die ökologischen Belastungsgrenzen ihrer Region überschritten
hatten. Beim Untergang der Mayakulturen auf der Halbinsel Yucatan spielte
neben Klimaveränderungen die zu hohe Bevölkerungsdichte und
Reichtumsansammlung bei kleinen Machteliten eine wesentliche Rolle. Wenn
jährlich 90 Millionen Menschen auf dem Erdball dazukommen, dann
sollte man ernst nehmen, daß sich daraus Konsequenzen ergeben.
Darauf wies Gruhl hin. Die landwirtschaftliche Nutzfläche nimmt
stetig ab und die Bevölkerungsdichte ist Ursache Nummer eins, daß wir
täglich 300-400 Tier- und Pflanzenarten verlieren, besonders im
artenreichsten Refugium, den Regenwäldern. Bösartig wird ihm
in diesem Kontext auch unfaire Argumentation gegen ausländische
Bürger vorgeworfen. Dabei verteidigte er das deutsche Asylrecht
noch, als die meisten Parteien darauf hinarbeiteten, es abzuschaffen.
In den letzten Texten von Herbert Gruhl vor seinem Tod 1993, sieht man,
daß er die jetzige Zivilisation für unrettbar verloren hielt.
Das komplexe Zusammenwirken von Klimaveränderungen und der Erosion
von Ökosystemen spricht dafür - er könnte recht behalten.
Es zeichnet sich ab, die Gesellschaften unterschätzen die nichtlinearen
Wirkungen, viele Zerstörungsaspekte fallen nicht unmittelbar auf.
Etwa, die viel zu späte Entdeckung des antarktischen Ozonlochs,
die offizielle Wissenschaft erzählte damals noch, die Werte sind
alle in Ordnung, könnte ein deutlicher Warnhinweis sein. Der Klimawandel
ist bestenfalls abzubremsen, aber nicht mehr aufzuhalten. Der Schock
für die Gesellschaften wird kommen, den Gruhl auf uns zukommen sah.
Gewiß unterschätzt er die abfedernden Möglichkeiten einer
vollständigen solaren Energiewende und ökologischer Effizienzsprünge.
Der aktuelle Band zeigt auch bei den späten Texten, etwas im Gegensatz
zu seinem letzten Buch, daß er gesellschaftliche Veränderung
trotzdem für sinnvoll gehalten hat. Was aber wenn er recht behält
und die Zivilisation in einen Zerfallsprozeß übergeht? Es
stellt sich die Frage, wie kann man die schlimmsten sozialen Verwerfungen
mildern und verhindern, daß neuartige totalitäre Gesellschaftsformen
entstehen können. Wir würden mit der Frage konfrontiert, wie
wir damit umgehen wollen, wenn Stück um Stück die bisherige
Lebensordnung wegbricht. 40% der Nahrungsmittel der Menschheit werden
in Trockengebieten angebaut. Im Zusammenspiel mit anderen Faktoren, wird
das Opferraten geben, die einem das Herz stillstehen lassen. Die Botschaft
Herbert Gruhls weiterzudenken, das wäre eine spannende, aber unbequeme
Aufgabe.
Herbert Gruhl: Unter den Karawanen der Blinden. Schlüsseltexte,
Interviews und Reden (1976-1993), Peter Lang Wissenschaftsverlag 2005,
brosch., 39,80€
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