Ungebremst in die Vielfachkatastrophe

Warum ökologische Wahrheiten für die Politik unbequem sind.


Interview mit Prof. Götz Brandt, Mitglied im Sprecherrat der Ökologischen Plattform bei der LINKEN

Du hast ein neues Buch zur Verflechtung der verschiedenen Krisenfaktoren geschrieben, etwa der Finanzspekulationen mit Verwerfungen des Klimas und zur Neige gehenden Rohstoffvorräten nicht nur beim Öl. Was ist das Anliegen?

Die auf uns zukommende Vielfachkatastrophe wird von den Politikern aller Parteien in ihrer Gefahr für den Fortbestand der Menschheit entweder als politisches Problem nicht wahrgenommen oder in seiner Bedeutung heruntergespielt. Da ist es notwendig, dazu eine politische Streitschrift zu veröffentlichen, denn innerhalb einer einzigen Generation kann es zu apokalyptischen Zuständen kommen.

Welche Komponenten hat die vorhergesagte Vielfachkatastrophe?

Allen voran ist die Erderwärmung zu nennen, die bereits nach Meinung vieler Wissenschaftler viele Kipp-Punkte überschritten hat und irreversibel geworden ist. Aber auch das Artensterben, die Entwaldung, die Wüstenbildung, die Erschöpfung der Fischreserven der Ozeane, die Luftverschmutzung, die Wasserknappheit- und Verschmutzung, die Bodenerosion, der Peak Oil und die Weltnahrungsmittelkrise sind Komponenten dieser Vielfachkrise, deren Zusammenwirken und Potenzwirkungen weitgehend unerforscht sind.

Warum sagt denn keine Partei den Wählern die Wahrheit über die Zukunft ihrer Kinder und Enkel?

Die Legislaturperioden sind im Verhältnis zu den langfristig wirkenden Krisenerscheinungen zu kurz, um das als politisches Problem bei den Wählern vermarkten zu können. Niemand will sich mit Unkenrufen unbeliebt machen. Es ist auch schwer vermittelbar, dass es in Zukunft mit dem Wohlstand ständig bergab gehen wird. Deshalb sind alle Parteien damit beschäftigt, Vorschläge zu machen, wie denn das Ende des Industriekapitalismus aufzuhalten und man diesen stabilisieren kann. Der Untergang unserer Zivilisation wird nicht thematisiert, obwohl das im Mittelpunkt jeder Politik stehen müsste. Da macht auch DIE LINKE keine Ausnahme.

Wann wird denn die Vielfachkatastrophe gravierenden Auswirkungen auf unser Leben haben?

Die genannten Komponenten der Vielfachkatastrophe werden bereits in den kommenden Jahrzehnten wirken, beginnend vor allem in den Ländern, die sie nicht verursacht haben etwa in Afrika und Südostasien. Im vergangenen Sommer war der arktische Ozean soweit von Eis befreit wie nie zuvor, aktuelle Hochwasserfluten, hatten auch mit Starkregen zu tun und dieser mit höheren Temperaturen. Dass schon im Vorfeld der Klimakatastrophe die Finanzmärkte und Währungen erodieren und dann zusammenbrechen werden, ist fast vorhersehbar.

Ist an der Vielfachkatastrophe der Industrialismus schuld oder das kapitalistische Wirtschaftssystem?

Die Strategen des Kapitals wollen uns weismachen, dass in erster Linie der nimmersatte Konsument die Natur schädigt und wenn dieser sich einschränkt, die Welt gerettet werden kann. Aber Schuld an den zukünftigen Krisen ist zugleich der Kapitalismus als Wirtschaftssystem. Die Jagd nach dem Maximalprofit kennt keine Rücksichten auf die Natur und die Menschen. Die Beanspruchung der Naturressourcen ist für den Kapitalisten gratis, es sind, wie Marx schon erkannte, für ihn „Gratisnaturproduktivkräfte“. Alle Schäden in der Natur, die von der Industrie angerichtet werden, soll der Staat reparieren und bezahlen. Die Globalisierung vertiefte und beschleunigte diesen Prozess der Naturzerstörung. Der Industrialismus war auch in den sozialistischen Ländern eine der Ursachen der dortigen Krise und der kapitalistische Industrialismus führt die Katastrophen noch schneller und in massiverer Form herbei.

Früher oder später werden die internationalen Handelsstrukturen zusammenbrechen, weil es auf Grund des Ölmangels und höherer Ölpreise keinen billigen Transport mehr gibt. Wie kann man die Gesellschaft darauf vorbereiten?

Die Exportnation Deutschland wird es besonders hart treffen, weil wir sowohl beim Import von Energieträgern als auch von Rohstoffen stark vom Weltmarkt abhängig sind. Zumindest in der Energiegewinnung könnte sich Deutschland schnell auf erneuerbare Energieträger umstellen, weil sowohl die Industriekapazität als auch die das technische Knowhow vorhanden sind. Die Regierung genehmigt aber, neue Kohlekraftwerke zu bauen. Auch könnte sich die Landwirtschaft schnell umstellen, um eine autarke Lebensmittelversorgung zu sichern. In der DDR war es möglich, die Bevölkerung aus eigener Landwirtschaftsproduktion zu versorgen. Das ist heute von der Regierung nicht gewollt. Das Beispiel der Entwicklung und Produktion von Elektroautos, die mit erneuerbarer Energie getankt werden, zeigt, dass weder die Industrie noch die lobbygelenkte Regierung das ernsthaft wollen. Die Autoindustrie ist nicht einmal bereit, vorrangig 3-Liter-Autos zu produzieren.

Was rätst du jungen Leuten, die in der LINKEN ökologisch-soziale Positionen voranbringen wollen?

In der Jugendorganisation Solid gibt es viele Mitglieder, die aus einer antikapitalistischen Grundeinstellung heraus ökologische Standpunkte vertreten. Ich rate, sich zu informieren, wie das Kapital systematisch und zunehmend unsere Lebensgrundlagen zerstört und darauf aufbauend breite Schichten der Jugend zum antikapitalistischen Kampf nicht nur gegen die Finanzwelt oder für soziale Gerechtigkeit zu begeistern, sondern auch für den Kampf um den Erhalt unserer Biosphäre und damit der langfristigen sozialen Sicherheit.

Nach der Bundestagswahl bekommen wir gewiss keine/n Ökokanzler/in. Wäre es anders, was sollte vordringlich umgesetzt werden?

An erster Stelle müsste die erneuerbare Energie innerhalb von 10 Jahren die Versorgung mit Strom zu 100 % sichern. Parallel dazu gehört der Neubau von Kohlekraftwerken verboten. Alle restlichen Atomkraftwerke sind stillzulegen und zurückzubauen. Die Stromerzeugung aus Kohle und Uran gehört untersagt, so sollte es im Grundgesetz stehen. Der Ausbau des ÖPNV muss absoluten Vorrang haben, die weitere Zerschneidung der Landschaft durch Autobahnen und Straßen unterbunden werden. Elektroautos und Pedelecs, getankt mit erneuerbarem Strom, sollten dort eingesetzt werden, wo der öffentliche Verkehr nicht hinkommt. Benzinautos müssen von der Straße verschwinden. Der Wehretat kann mindestens um die Hälfte reduziert werden und die freiwerdenden Mittel für die genannten Aufgaben eingesetzt werden.

Götz Brandt: Leben in der Vielfachkatastrophe, Edition Zeitsprung, Berlin 2013, 288 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-7322-4001-2

Interview: Marko Ferst

Disput, Ausgabe Nr.9/2013

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