WTO: Ausverkauf existentieller Güter

 


Die indische Ökologin Vandana Shiva

zu den Folgen des geplanten Dienstleistungsabkommens GATS

 

Die Physikerin und Agrarwissenschaftlerin Dr. Vandana Shiva ist eine der bekanntesten indischen Bürgerrechtlerinnen. Sie streitet seit Jahren gegen die großen Agrar- und Pharmakonzerne für die Rechte der Kleinbauern und für den Erhalt der Artenvielfalt. Vor fünf Jahren gründete sie "Navdanya", eines der ersten indischen Schulungszentren für ökologischen Landbau.

ND: Sie haben am Wochenende während des IPPNW-Kongresses in Berlin die Forderung nach einer "Deglobalisierung" erhoben. Was meinen Sie damit?

Shiva: Dazu muss ich kurz erläutern, was Globalisierung für mich heißt: dass die von der Welthandelsorganisation WTO aufgestellten Handelsregeln wie das zurzeit verhandelte GATS-Abkommen eine Vereinnahmung der lebenswichtigen Ressourcen durch Konzerne vorsehen, und dass sie dabei von der Politik unterstützt werden. Angestrebt sind die Privatisierung des Wassers und der Artenvielfalt, Ausbeutung von traditionellem Wissen und vieles mehr. Aber ohne diese Grundlagen gibt es kein Überleben für einen Waldbewohner, einen Fischer oder einen Ureinwohner.
"Deglobalisierung", wie ich sie verstehe, soll grundlegend sichern, dass die existenziell notwendigen Ressourcen unter der Kontrolle der lokalen Gemeinschaften bleiben. Sie werden nicht zu Waren reduziert, sondern als Grundgüter anerkannt und unter Schutz gestellt, um das Überleben der Menschheit zu sichern.

Inwieweit hat die indische Regierung den "Krieg gegen den Terrorismus" benutzt, um das Land weiter für den globalen Markt zu öffnen?

In Indien ist der Widerstand gegen die kapitalistische Globalisierung seitens der Gewerkschaften, der Bauern und selbst im Parlament sehr stark. Deshalb war es uns lange gelungen, auf demokratischem Weg einige der Schlüsselinstrumente der WTO zu blockieren, wie die Besitzrechte auf intellektuelles Eigentum, den Handel mit Wasser oder die Zerstörung der Ernährungssicherheit. Die Regierung hat dann aber im vergangenen Jahr viele Regelungen innerhalb sehr kurzer Zeit, vor allem während der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen im Unionsstaat Gujarat, durchgeboxt. Der "Krieg gegen den Terrorismus" diente als Rechtfertigung und Schutz für all diejenigen, die die Muslime verfolgt haben. Die Auseinandersetzungen erzeugten eine Rauchwolke, hinter der die Privatisierung von Wasser, der Handel mit genetisch veränderten Organismen, der Ausverkauf der öffentlichen Dienstleistungen und Patente auf Leben erlaubt wurden. Das bedeutet, das Aufkommen von Fundamentalismus und Kommunalismus bereitete der konzerngeleiteten Globalisierung den Weg.

Besonders umstritten ist die von der WTO eingeleitete Privatisierung des Wassers. Wie ist die Lage derzeit in Indien?

Es gibt drei große Projekte, gegen die wir zurzeit kämpfen. Coca-Cola hat im südlichen Unionsstaat Kerala begonnen, 1,5 Millionen Liter Wasser pro Tag auszubeuten. Die indigenen Frauen baten mich um Hilfe dabei, ein Jahr des Protestes zu starten, weil im Umkreis von über drei Kilometern um die Coca-Cola-Fabrik alle Brunnen und Seen ausgetrocknet sind und die Frauen kein Trinkwasser haben. Der zweite Fall ist der weltweit größte Multi Suez, der den Ganges privatisieren und in Delhi täglich über 6,35 Millionen Liter davon verkaufen will. In den Dörfern im Hochhimalaya, wo das Wasser mit Hilfe eines Dammes aufgestaut worden ist, gibt es kein Trinkwasser mehr. Die Frauen dort haben mir erzählt, dass schon einhundert von ihnen Selbstmord begangen haben, weil sie so weit zum Wasser laufen mussten, dass das nicht mehr zu bewältigen war. Das gesamte Kanalsystem des Ganges wurde trockengelegt und selbst an der zentralen heiligen Stätte, zu der wir die Asche der Verstorbenen bringen, ist der Fluss trocken.
Der allergrößte Kampf ist aber jener gegen den Wahnsinnsplan, alle großen Flüsse Indiens zu verbinden und riesige Dämme und Kanäle zu bauen - ein 200-Milliarden-Dollar-Projekt, das den Tod all unserer Flüsse und das Ende unserer lokalen Wasserrechte bedeuten würde. Wir machen eine riesige Kampagne, um dies zu verhindern.

Wie ist generell der Widerstand in Indien gegen die kapitalistische Globalisierung organisiert?

Der Protest in Indien richtet sich gegen die gesamte Wirtschaftspolitik, die die Grundbedürfnisse der Menschen nicht berücksichtigt. Am wichtigsten ist dabei die Bürgerkampagne gegen die WTO, eine breite Plattform mit 200 Vertretern aus allen Gewerkschaften, Bauernorganisationen, Frauengruppen und neuen sozialen Bewegungen sowie progressiven Ökonomen und kritischen Akademikern des Landes. Wir bereiten uns mit einer sehr umfassenden Kampagne auf den WTO-Gipfel von Cancún vor. Von jetzt an bis zum September werden wir große Demonstrationen und öffentliche Bildungskampagnen machen. Die Allianzen gegen die Privatisierung des Wassers haben schon im Januar ein ganzes Aktionsjahr gestartet.

Sie werden in Köln am internationalen Frauenkongress gegen das geplante GATS teilnehmen. Welche Ergebnisse erhoffen Sie sich von diesem Kongress?

Ich habe auf dem Kongress zwei Ziele. Erstens will ich herausarbeiten, dass die unternehmensgeleitete Globalisierung und die wirtschaftliche Einverleibung aller Ressourcen und Dienstleistungen grundsätzlich ein patriarchales Projekt sind. Denn dies geschieht auf Kosten der Frauen, denen sowohl die von ihnen kontrollierten Ressourcen geraubt als auch die Lasten der weiteren Lebenssicherung aufgeladen werden - ohne Zugang zu Gesundheitsversorgung, Wasser und Nahrung. Zweitens hoffe ich im Zusammenhang mit den GATS-Verhandlungen, dass ein globales Programm der Bürger- und Frauenbewegungen aufgelegt wird, dass bestimmte Dinge nicht vermarktbar sind. Gesundheit, Bildung und die soziale Grundversorgung. Das sind grundlegende Dienste, die für die Allgemeinheit gedacht sind, und nicht, um davon zu profitieren.

Fragen: Andreas Schug

Neues Deutschland, 8.5.2003 auf der Nord-Süd-Seite

(Nachveröffentlichung des Beitrags durch Martin Ling genehmigt)

 

 

 

 

 

 

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