Ökologische Politik und Wirtschaftswachstum

 

sind unvereinbar

 

Ökologische Räte als übergeordnete Verfassungsorgane

 

RUDOLF BAHRO

 

In Ihrer Vorlesungsreihe zur Sozialökologie wollen Sie über die "Einrichtungen für eine Politik der ökologischen Umkehr" sprechen. Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz gegenüber den gängigen Auffassungen von ökologischer Politik?

Meine Begründung ist anders. Sieben Semester lang habe ich zuvor über die geistigen Grundlagen ökologischer Politik gesprochen, und jetzt will ich versuchen, so eine Art Schlußstein zu setzen. Ich denke, die eigentliche Substanz, mit der wir so einschnürend die Erde überziehen ist nicht Beton, Stahl, Silizium usw., sondern etwas, was Marx tote Arbeit genannt hat, und was man noch geschickter toter Geist nennen kann. Wenn also die ökologische Krise geistig und wie wir aus der Psychologie wissen, auch seelisch verursacht ist, dann kann ökologische Politik nur Bewußtseinspolitik sein. Das habe ich in der Überschrift der Vorlesungsreihe zum Ausdruck gebracht, indem ich von einer Politik der ökologischen Umkehr rede, ein Terminus, der ja aus dem spirituellen Kontext stammt.

Das ist aber sicher nur ein Teil Ihrer Kritik an der konventionellen Sicht?

Weiter gehe ich davon aus, die Gesellschaft und Politik in der Bundesrepublik, mal etwas verkürzt unterm Strich gesprochen, haben von der ökologischen Krise nichts verstanden. Das zeigt sich daran, daß die entsprechenden Weichenstellungen als abhängig von einer Finanzpolitik dargestellt werden, die am Wachstumsmechanismus hängt. Also ökologische Politik ist nur möglich, wenn die Wirtschaft wächst, lehrt uns das politische Spektakel gerade der letzten Jahre nach der Vereinigung, mit einer Ausnahme: Wenn man ganze Industrien zumacht aus keinesfalls grüner Motivation, das hat dann auch gewisse ökologische Vorteile - unbeabsichtigterweise.

Welche Schlußfolgerungen ergeben sich daraus?

Für mich kann von ökologischer Politik wirklich nur dann die Rede sein, wenn die Gesellschaft ihren ganzen Lebensprozeß in der Einsicht anlegt, das Verhältnis Mensch - Natur ist das Umfassendere und ist die Grundlage des Mensch - Mensch - Verhältnisses. Für ökologische Politik müssen wir den Ausgangspunkt bisheriger Politik, der immer in den innergesellschaftlichen Kämpfen liegt, also in den Interessenkämpfen, in den verschiedenen Besitzständen, umkehren. Die Gesellschaft sollte sich von der Einsicht leiten lassen, daß heißt, es gibt einen Konsens mehrheitlich, das Mensch-Natur-Verhältnis hat Vorrang vor all den innergesellschaftlichen Kämpfen, die der Mensch mit dem Menschen austrägt. Es läuft aber umgekehrt. Vorrang heißt wiederum nicht, es gegeneinander auszuspielen, sondern die Integration muß auf die Einsicht gebettet sein, wir können unsere gesellschaftlichen Defizite nicht auf dem Rücken der Natur austragen. Seit der Mensch in den Städten lebt, läuft das schon so. In der Moderne mit den Großstädten und mit der kapitalistischen Struktur, die feudale war noch mit dem Boden verbunden, sind wir vollends übergeschnappt, was den Kopfstand in dieser Frage betrifft.
Alle politischen Kräfte, die auf dem Felde sind, denken eigentlich, daß ökologische Politik eine Frage von an die gegebene Struktur anzuhängenden Neuerungen ist. Es geht also nur um ergänzende Anbauten, im Sinne von neu errungen. Natürlich haben einzelne Denker auch schon mal etwas anderes gesagt, wie Carl Amery z.B. in "Natur als Politik".
Ohne eine Grunderneuerung des ganzen institutionellen Zusammenhangs, einschließlich einer völligen Neueinordnung der Wirtschaft, haben wir gar keine Chance, weil die moderne Gesellschaft mit ihrer wissenschaftlich inspirierten Massenproduktion expansiv auf einer endlichen Erde ist. Die Logik, die herrscht, ist erweiterte Reproduktion, und wir brauchen Institutionen, die die Rückführung auf einfache Reproduktion leisten, insbesondere was die Material- und Energieverbräuche betrifft. Wir müssen den jetzigen Stand dieser Verbräuche drastisch zurückschrauben, denn er sprengt bereits die Naturgleichgewichte. Wir brauchen Institutionen, die diese Umsteuerung leisten können, sonst gibt es einen fürchterlichen Krach etwa vom Typ bandenmäßiger Bürgerkriege.

Ökologischsoziale Marktwirtschaft ist aus Ihrer Sicht kein Thema? Etwa was Franz Alt, einige Umweltminister u.a. als ökologischen Marshallplan vorgestellt haben - sehen Sie eine andere Perspektive?

Ökologisch soziale Marktwirtschaft ist erst mal ein ideologischer Terminus, der in verschiedenen Köpfen sehr Verschiedenes bedeutet. Ich hatte in meinem Buch "Logik der Rettung" in der Auseinandersetzung mit Kurt Biedenkopf gezeigt, wie öffnungsfähig dieses Konzept ist. Für Biedenkopf war der Gedankengang so: Es gibt die Idee der sozialen Marktwirtschaft und die ist als Ordnungsprinzip nicht verwirklicht, stellte er fest. Das scheint nur so. Er sagt, der ökologischen Krise werden wir nur begegnen können, wenn ökosoziale Marktwirtschaft als Ordnungsprinzip durchgesetzt werden kann. Weiter formuliert er, wie ist es möglich, die innere Souveränität des Staates herzustellen, als eines Ordnungsrahmens, der dem Marktmechanismus wirklich Grenzen setzen kann und wirklich Gesetze geben kann. Dies ist etwas, das bisher einfach nicht funktioniert hat. Weil der Rahmen für so etwas nicht da ist, kann Biedenkopf das auch in Sachsen als Ministerpräsident nicht realisieren.
Man sollte sich aber vor endlosen Prinzipiendiskussionen hüten. Worum es vielmehr geht, ist die Realität, der heutige Weltmarktmechanismus, der weder sozial noch ökologisch ist, seiner innersten Natur nach, der ist erst mal als siegreich gegeben. Die Fragestellungen, die Franz Alt transportiert, das sind deshalb die sprengendsten, weil sie den für diese Weltmarktentwicklung unerläßlichen Expansionismus von noch mächtigeren materiellen Interessen her, nämlich von den elementarsten Überlebensinteressen des Menschen, gegenübertreten. Um diese Überlebensinteressen müßte eigentlich ein stärkerer politischer Wille konstituierbar sein, als um die gestaffelten Sonderinteressen ökonomischer Art, bei denen es nämlich viel mehr um Statusprobleme, man könnte auch mit Friedrich Engels sagen, um Genuß- und Entwicklungsmittel statt um Subsistenzmittel geht. Trotz alledem sind letztere Faktoren nicht so heiß wie die Überlebensfrage. Es ist also denkbar, daß sich politische Kräfte formieren, die diesem ökonomischen Amoklauf Halt sagen.

Sie schlagen vor, so eine Art "Ökologisches Oberhaus" könnte eingerichtet werden bzw. ein ökologischer Rat ...

Diese Idee macht inzwischen Schule, nur nicht in der Lesart, die ich bevorzuge. Zu einem Podiumsgespräch habe ich Professor Michael Kloepfer von der Humboldt-Universität eingeladen. Zusammen mit Professor Hans Christoph Binswanger entwarf er Vorschläge, wie die innere Rechtsverfassung der EG auf ökologischen Kurs gebracht werden könnte. Der größte Abschnitt in ihren Papieren ist die Idee eines ökologischen Rats für die EG aus 26 Fachleuten, die ein Vetorecht gegen EG-Beschlüsse über ein halbes Jahr haben. Das ist das Maximum an Einfluß, den sie ausüben können. Wenig ist es in der Hinsicht, daß es nach einem halben Jahr überrollt werden kann. Bleibt die EG-Bürokratie nur unter sich, hat es wenig Effekt. Wenn es andererseits eine Volksbewegung gäbe, die diese Sachen thematisiert, dann ist ein halbes Jahr Diskussion genug, um Projekte wirklich vom Tisch zu bringen. Dann ist es nicht nur eine Verzögerung, und es kann aus diesem meiner Ansicht nach inkonsequent formulierten Vorschlag, bei dem vielleicht auch Taktisches im Hinterkopf sitzt, bei denen, die das vorschlagen, mehr werden als jetzt diskutiert wird. Ich denke, der ökologische Rat würde eigentlich die Oberhausfunktion haben. Dort läge die Richtlinienkompetenz, in der sich das Mensch-Natur-Verhältnis wiederfinden muß. Im Bundestag ist nur das Mensch-Mensch-Verhältnis wiedergespiegelt. Das Mensch-Natur-Verhältnis braucht eine Instanz, und das ist auch in dem Vorschlag für einen Ökologischen Rat bei der EG so gedacht, nur es ist institutionell nicht konsequent formuliert.

Was ist eigentlich aus dem Projekt "neue Lebensformen" geworden, daß ökologische Lebens- und Arbeitweisen befördern wollte. Die sächsische Landesregierung sagte vor zwei Jahren doch sogar finanzielle und materielle Starthilfe dafür zu?

Sie hat den Start für das Gut Pommritz ermöglicht. Das Projekt läuft. Es fehlt noch einiges. Im übrigen ist es auch von Nutzen, wenn nicht gleich alle Mittel fließen. In Pommritz erhöhte das die Improvisationskraft - natürlich nicht für alles. Jedenfalls ist das Projekt mit seinen vierzig Menschen, darunter 15 Kinder, gut im Gang. In diesem Jahr werden sie sich der Landwirtschaft an diesem Platz stellen.

Sind noch weitere Projekte im Entstehen?

Auf dem Lande in Ostdeutschland, wenn man in eine bestimmte Gegend kommt, hört man, teils sind richtige Netzwerke im Entstehen. Überall haben sich Leute zusammengefunden. Hinderlich sind besonders die regulären Strukturen. Sie scheinen normalerweise nur im Wege zu sein.

Inwiefern sind sie das?

Die Raster, nach denen etwas gefördert wird, sind auf das Anliegen nicht zugeschnitten. Man stößt dann auf viel Unverständnis, wenn man regulär vorgeht. Der einzige Weg sind persönliche Kontakte zu engagierten Leuten in den Institutionen bzw. Behörden auf allen Ebenen. Ansonsten muß man zugeben, der Fall Pommritz ist ein guter Anfang, aber zugleich ist es in punkto Starthilfe eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht. Aber bei der gegenwärtigen sozialökonomischen Situation in Ostdeutschland könnten eigentlich große Chancen offen sein.

Das Interview führte Marko Ferst. Ein Auszug mit weiteren Hinweisen zur Vorlesungsreihe erschien am 18.4.1994 in der Tageszeitung "Neues Deutschland". Die vollständige Abschrift stammt von 2002.

2002 erschienen:

Guntolf Herzberg, Kurt Seifert; Rudolf Bahro - Glaube an das Veränderbare. Eine Biographie, 656S., 29,90  

Franz Alt, Rudolf Bahro, Marko Ferst; Wege zur ökologischen Zeitenwende, 340S., 21,90 

 

 

zur Hauptseite www.umweltdebatte.de