Entschulung der Gesellschaft. Eine Streitschrift

 

Eine Zitatesammlung

 

 

Ivan Illich

 

 

„Die moderne Universität hat ihre Chance verspielt, einen einfachen Rahmen für Begegnung zu bieten, die von Anarchie und Selbstverantwortung zugleich bestimmt werden, die konzentriert und doch ungeplant und impulsiv sind. Stattdessen hat sie es vorgezogen, die geschäftsmäßige Leitung des Verfahrens zu übernehmen, durch das sogenannte Forschung und Lehre produziert werden.“ (S.61)

 

„Wenn der Autodidakt erst mal in Verruf gebracht worden ist, wird jede nicht professionelle Tätigkeit verdächtig. ... Tatsächlich ist Lernen diejenige menschliche Tätigkeit, die am wenigsten der Manipulation durch andere bedarf. Das meiste Lernen ist nicht das Ergebnis von Unterweisung. Es ist vielmehr das Ergebnis unbehinderter Interaktion in sinnvoller Umgebung. Die meisten Menschen lernen am besten, wenn sie „dabei sind“. Trotzdem zwingt sie die Schule, ihr persönliches, kognitives Wachstum mit konzipierter Planung und Manipulation gleichzusetzen. Hat jemand erst akzeptiert, daß Schule nötig ist, so fällt er leicht anderen Institutionen anheim. Lassen junge Menschen erst einmal zu, daß ihre Phantasie durch lehrplanmäßigen Unterricht reguliert wird, so werden sie für institutionelle Planung jeglicher Art konditioniert. „Instruktion“ vernebelt den Horizont ihrer Phantasie. Sie können nicht verraten, sondern nur übers Ohr gehauen werden, weil man ihnen beigebracht hat, Hoffnung durch Erwartungen zu ersetzen.“ (S.65) 

 

„In Schulen und Universitäten werden die meisten Mittel darauf verwendet, die Zeit und die Motivation einer begrenzten Zahl von Leuten zu kaufen, um sie vorab festgelegt Probleme in einem rituell bestimmten Rahmen aufgreifen zu lassen. Die radikalste Alternative zur Schule wäre ein Netzwerk oder ein Service, der jedermann die gleiche Gelegenheit bietet seine jeweiligen Anliegen mit anderen zu teilen , welche dieselben Anliegen haben.“ (S.40)

 

„Menschen aber, die sich für die Bewertung ihres persönlichen Wachstums dem Maßstab anderer unterwerfen, legen diesen Zollstock bald auch bei sich selbst an. Sie brauchen nicht mehr an ihren Platz verwiesen zu werden, sondern stecken sich selbst durch die vorgesehenen Schlitze, quetschen sich in die Ecken, die aufzusuchen man sie gelehrt hat, und verweisen dabei zugleich ihre Kameraden an deren Plätze, bis alles und jedermann „paßt“.

Menschen, die auf das richtige Maß heruntergeschult worden sind, gehen unkalkulierbaren Erlebnissen aus dem Weg. Für sie wird, was sich nicht messen läßt, zweitrangig und bedrohlich. Sie brauchen ihrer schöpferischen Kraft nicht mehr beraubt werden. Durch programmierte Unterweisung haben sie verlernt, das Ihrige zu „tun“ oder sie selbst zu „sein“. Sie schätzen nur noch, was „gemacht“ worden ist oder gemacht werden könnte.

Ist jedoch den Menschen erst einmal die Vorstellung eingeimpft worden, daß man Werte produzieren und messen kann, so sind sie geneigt, alle möglichen Rangordnungen zu akzeptieren.“ (S.66/67)

 

„Die Entschulung der Gesellschaft wäre nichts Geringeres als ein Kulturwandel, durch den ein Volk sich den effektiven Gebrauch seiner Verfassungsfreiheit wieder aneignet: Vor allem der Freiheit, zu lernen und zu lehren – von Menschen, die wissen, daß sie frei geboren sind und keiner Therapie zur Nutzung dieser Freiheit bedürfen. Die meisten Menschen lernen dann am meisten, wenn sie tun, was ihnen Freude macht; die meisten Menschen sind neugierig und bestrebt, in allen ihren Erfahrungen einen Sinn zu erkennen; und die meisten Menschen sind fähig zu persönlichem, direktem Verkehr mit anderen, solange sie nicht durch eine inhumane Arbeit abgestumpft oder durch Verschulung verblödet sind.“ (S.177)

 

„Das Ergebnis der Curriculum-Produktion sieht wie jede andere moderne Stapelware aus. Es ist ein Bündel von geplanten Zielen, ein Paket mit Werten, ein Ware, deren „ausgewogener Anreiz“ ihren Absatz an eine ausreichend große Zahl von Leuten garantieren soll, um die Produktionskosten zu rechtfertigen. Die Verbraucher-Schüler lehrt man, ihre Wünsche den marktfähigen Werten anzupassen. Auf diese Weise erreicht man, daß sie sich schuldig fühlen, sobald sie nicht entsprechend der Voraussage der Verbraucherforschung verhalten, nach der es ihnen vorherbestimmt ist, durch den Erwerb von Graden und Zeugnissen in diejenige Berufsklasse zu gelangen, die zu erwarten man sie gelehrt hat.“ (S.67,68)

 

„Ein gutes Bildungswesen sollte drei Zwecken dienen: Es sollte allen, die lernen wollen, zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens Zugang zu vorhandenen Möglichkeiten gewähren; es sollte alle die ihr Wissen mit anderen teilen wollen, ermächtigen diejenigen zu finden, die von ihnen lernen wollen schließlich sollte es allen, die der Öffentlichkeit ein Problem vorlegen wollen, Gelegenheit verschaffen, ihre Sache vorzutragen. Ein solches System würde die Anwendung verfassungsmäßiger Garantien auf das Bildungswesen erfordern. Lernende sollten weder dazu gezwungen werden, sich einem obligatorischen Curriculum zu unterwerfen, noch sollten sie danach unterschieden werden, ob sie ein Zeugnis oder Diplom besitzen oder nicht.“ (S.109) 

 

„Wir müssen uns einen Lebensstil schaffen, der es uns ermöglicht, spontan, unabhängig und doch aufeinander bezogen zu sein. Wir sollten nicht an einem Lebensstil festhalten, der uns lediglich gestattet, zu „machen“ und zu vernichten, zu produzieren und zu verbrauchen – ein Lebensstil, der lediglich eine Etappe auf dem Weg zur Erschöpfung  und Verschmutzung der Umwelt ist. Die Zukunft hängt mehr davon ab, daß wir uns Institutionen aussuchen, die ein Leben schöpferischen Tuns fördern, als daß wir neue Ideologien und technische Verfahren entwickeln. Wir brauchen Maßstäbe, die es uns gestatten, solche Institutionen zu erkennen, die eher persönliches Wachstum als Süchtigkeit fördern...“ (S.81,82)

 

Ivan Illich lehrt an verschiedenen Universitäten, so u.a. an der University of Pennsylvania (USA), an der Gesamthochschule in Kassel sowie an den Universitäten von Bremen und Marburg. Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie in Florenz und der Theologie in Rom. Jahrgang 1926.

 

 Entschulung der Gesellschaft. Eine Streitschrift Ivan Illich

 

 

 

 

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