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Eine entscheidende Weichenstellung für die Menschheit
Bruno Kern
Im Umfeld der Initiativen
im Bereich Ökologie und Internationale Solidarität ist der Autor
kein unbeschriebenes Blatt: Immer wieder fiel er als interessanter Querdenker
auf, der es verstand, eingefahrene Denkmuster zu durchbrechen und "linke"
Tabus zu verletzen. Seinem gut belegten Faktenmaterial und seiner scharfsinnigen
Argumentation kann man sich dabei kaum entziehen. Sarkar war es z.B.,
der das Thema Konsumverweigerung als politische Strategie gegen die traditionelllinken
Abwehrmechanismen auf die Tagesordnung setzte. Auch in Fragen des demographischen
Wachstums erlaubt er sich gegen die "political correctness"
der Linken eine höchst notwendige differenzierte Position. Als Autor
hervorgetreten ist Sarkar vor allem durch sein zweibändiges monumentales
Werk über die grün-alternative Bewegung in der BRD. Der 1936
in West-Bengalen geborene Sarkar ist Germanist, lehrte an den Universitäten
Kalkutta und Hyderabad und lebt seit 1982 in Köln. Zur Zeit arbeitet
er bei der re-nommierten Nichtregierungsorganisation WEED.
Sarkars Buch ist eine Herausforderung für marxistische und neoliberale
Dogmatiker gleichermaßen. Er beginnt mit einem Rückblick auf
das Scheitern des historischen Sozialismus (den er konsequent in Anführungszeichen
schreibt). Dabei rückt er Aspekte in den Vordergrund, die in der
bisherigen Aufarbeitung - erstaunlicherweise ! - kaum gesehen wurden.
Zwei Ursachen analysiert er eingehend: das Scheitern des "Sozialismus"
als eines ethischen Projektes (darauf soll hier nicht näher eingegangen
werden) und das Scheitern an den Grenzen der Ausbeutbarkeit der natürlichen
Ressourcen. Während die Länder des historischen Sozialismus,
allen voran natürlich die Sowjetunion, sehr bald das Wachstums- und
Wohlstandsparadigma des Westens übernahmen, das auf einer Ausplünderung
natürlicher Ressourcen im großen Stil beruhte, waren ihnen
vergleichsweise enge (geographische, klimatische, aber auch soziale) Grenzen
gesetzt. Der "Erfolg" des kapitalistischen Westens in diesem
Wettlauf der Systeme beruhte - das belegt Sarkar sehr gut - im wesentlichen
auf dem fast uneingeschränkten Zugang zu den natürlichen Ressourcen
der "Dritten Welt", die noch dazu aufgrund der billigen Arbeitskraft
zu äußerst niedrigen Kosten zur Verfügung standen. Der
Zusammenbruch des historischen Sozialismus in dieser Systemkonkurrenz
auf derselben Grundlage nimmt deshalb das Scheitern des gegnerischen Systems
bloß vorweg.
Für die aktuelle Diskussion dürfte wohl die kritische Auseinandersetzung
mit dem "Öko-Kapitalismus" das spannendste Kapitel sein.
Hier stehen aktuelle Lösungsvorschläge für die ökologische
Krise auf dem Prüfstand, deren oberste Prämisse "Marktkonformität"
lautet. Sarkar geht aus von den bekannten Szenarien (etwa des Wuppertal
Instituts für Klima, Umwelt, Energie), die die Notwendigkeit der
Reduktion des Verbrauchs an natürlichen Ressourcen um den Faktor
10 ( ! ) herausstellen. Sarkar zeigt überzeugend auf, dass dieses
Ziel in keinem Fall einzig und allein durch die vielbeschworene "Effizienzrevolution"
erreicht werden kann, wie sie etwa E.U.von Weizsäcker propagiert.
Die Verfechter ökokapitalistischer Lösungen gehen selbstverständlich
von der Notwendigkeit eines stetigen Wachstums des Bruttosozialprodukts
aus. Wenn man nun ein jährliches Wachstumvon 2% unterstellt, so müsste
die Ressourceneffizienz um das 27-fache steigen, um die notwendigen Reduktionsziele
nicht zu verfehlen. Sarkar macht auf die Kehrseite der Steigerung der
Arbeitsproduktivität vor allem durch die elektronische Revolution
aufmerksam: Ein einziger PC schleppt einen "ökologischen Rucksack"
von 15 - 17 Tonnen mit sich. Ressourcenproduktivität und Arbeitsproduktivität
verhalten sich umgekehrt proportional. Diese kritische Einsicht wendet
sich - unausgesprochen - gegen jene "linken" Politikansätze
etwa eines André Gorz, die sich vom Ausschöpfen der Produktivitätspotentiale
das "Reich der Freiheit" erhoffen. Scharfsinnig zeigt Sarkar
die Grenzen marktkonformer
Steuerungsinstrumente unter kapitalistischen Bedingungen auf. Er kann
sich darauf berufen, dass auch die Vertreter eines Ökokapitalismus
immer mehr auf Instrumente zurückgreifen, die als Elemente einer
gesamtwirtschaftlichen Planung zu betrachten sind, wie etwa die Vergabe
von (handelbaren) "Verschmutzungslizenzen", Quoten u.ä.
Sarkar entmytfiziert nicht zuletzt das allzu euphorische Setzen auf technische
Lösungen. So zeigt er sehr detailkundig auf, dass die Solarenergie
sich zum Verbrauch fossiler Energie parasitär verhält. Bei vielen
Energieamortisationsrechnungen wird die energieintensive Produktion von
beispielsweise Aluminiumfolien oder Siliziumzellen (Photovoltaik) auf
der Basis fossiler Energieträger vernachlässigt. Ohne die Ergänzung
durch eine "Suffizienzrevolution", einer spürbaren Absenkung
unseres materiellen Lebensstandards, wird die sozial-ökologische
Wende nicht gelingen. Mit den kapitalistischen Wachstumszwängen
ist eine solche "steady-state-economy" aber letztlich unvereinbar.
Für traditionelle Marxisten ist Sarkars Buch aber eine mindestens
ebenso große Her-ausforderung. Den Geburtsfehler sieht er bereits
bei Karl Marx selbst, der geradezu schwärmerisch die Entfesselung
der Produktivkräfte durch die kapitalistische Ökonomie beschrieb.
Ökonomismus und Überflussgesellschaft seien - so Sarkar - integrale
Bestandteile der marxistischen Theorie. Diese sei letztlich an Oberflächenphänomenen
hängengeblieben. Lediglich an dieser Stelle wäre der Rezensent
versucht, einige Korrektive anzubringen. Ob die Analyse des "tendenziellen
Falls der Profitrate" und der daraus resultierenden zyklischen Krisen
lediglich Oberflächenphenomene trifft, wage ich zu bezweifeln. Immerhin
hat Marx an entscheidenden Stellen - für die Mitte des 19. Jh. erstaunlich
genug - dokumentiert, dass die Entfesselung der Produktivkräfte einhergeht
mit einem beschleunigten Destruktionsprozess, der seine eigene Basis ("Springquell")
zerstört: die Erde und den Arbeiter. Dies ist keine marginale Textpassage,
sondern sie findet sich im ersten Band des "Kapital" im Zusammenhang
der grundlegenden Analyse des kapitalistischen Akkumulationsprozesses.
Doch diese Feinheiten der Marx-Exegese mag man angesichts dessen, was
auf dem Spiel steht, getrost beiseitelassen. Die von Sarkar aufgezeigte
Konsequenz ist davon unberührt, nämlich dass die Kritik am kapitalistischen
Verwertungsprozeß weiterzutreiben ist in Richtung einer Kritik des
Industrialismus und seiner Grundlagen insgesamt. Sarkar setzt sich äußerst
kundig auseinander mit den wesentlichen Ansätzen alternativer, z.T.
marktwirtschaftlicher Sozialismen, so etwa mit dem ökonomischen Vordenker
des "Prager Frühlings", Ota Sik. Davon ausgehend zeigt
er die Perspektive eines Wirtschaftsmodells auf, das ohne integrierte,
demokratisch gestaltete Gesamtplanung nicht auskommt, das eine Ökonomie
des "Genug" ermöglicht und das kleine, überschaubare
Wirtschaftsräume, ein möglichst enges Zusammenführen von
Produktion, Verbrauch und Leben zum Zentrum hat. Vor dem Hintergrund der
Kontrastfolie des Bestehenden mag diese Beschreibung reichlich utopisch
anmuten - die grundsätzliche Richtung ist m.E. überzeugend gewiesen.
Sarkars neues Buch ist m.E. eines der wichtigsten zur Jahrtausendwende.
Es könnte einen wichtigen Impuls für die Frage des nächsten
Jahrzehnts schlechthin, den sozial-ökologischen Umbau der Industriegesellschaften,
geben.
Saral Sarkar, Ecosocialism
or ecocapitalism? A critical analysis of humanity's
fundamental choices, London/New York (Zed Books) 1999.
Die
nachhaltige Gesellschaft. Eine kritischeAnalyse der Systemalternativen
, Zürich (Rotpunktverlag) 2001
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