Dissidenz als Lebensaufgabe

Rudolf Bahro: Ökologische Selbstbegrenzung erfordert die allgemeine Emanzipation

 

Marko Ferst

 

Als die sowjetische Führung den Prager Frühling in der Tschechoslowakei 1968 mit Panzern erstickte, entschuldigte sich Rudolf Bahro bei der Prager Botschaft  für das Verhalten auch der eigenen Genossen. Bereits ein Jahr zuvor war er unliebsam aufgefallen. Damals als Zweiter bei der Zeitschrift „Forum“ nutzte  er den Urlaub seines Chefs um von Volker Braun das Stück „Kipper Paul Bauch“ abzudrucken. Das Stück sollte nicht diskutiert werden. Er selbst wurde nach diesem Akt abgesetzt und in die Produktion geschickt. Längst war ihm klar, mit dem ursprünglich gemeinten Sozialismus hatten  die Verhältnisse in den östlichen Systemen nichts mehr zu tun. Es entwickelte sich bei ihm die Idee, er will den Parteioberen etwas liefern, daß  schlimmer sein sollte als ihre Panzer 1968 in Prag. Über Jahre hinweg arbeitete er an dem Buch „Die Alternative. Zur Kritik am real existierenden Sozialismus“. Am 22. August 1977 erschien im „Spiegel“ ein Interview mit ihm und ein Auszug aus dem Buch. Tags darauf wurde er verhaftet, die Wohnungstür versiegelt.

Auch wenn das gesellschaftliche System, was in der „Alternative“ zur inneren Reform anstand, inzwischen das Zeitliche gesegnet hat, die Lektüre kann trotzdem interessant sein. Hat sich heutzutage die allgemeine Emanzipation erledigt? Sollten wir uns dem blinden Spiel der kleingläubigen Egoismen preisgeben? Ist es nicht nach wie vor eine geschichtliche Aufgabe die Subalternität, als Daseinsweise „kleiner Leute“ zu überwinden und  insbesondere die damit verbundenen Bedürfnisstrukturen? Darf man über die Aufhebung der alten, vertikalen Arbeitsteilung nicht ganz neu nachdenken? Schon in der „Alternative“ macht Bahro darauf aufmerksam, der innere Wandel des Menschengeschlechts ist ein zentraler Zugang, um der grenzenlosen Expansion der materiellen Bedürfnisse Einhalt zu gebieten.

Als Bahro nach zwei Jahren Gefängnis nach Westdeutschland ausreisen kann, schließt er sich den Grünen an und wird sie wenige Jahre darauf verlassen, weil er sehr früh erkennt, sie stellen sich der ökologischen Dimension nicht wirklich, sie orientieren sich auf Politikfähigkeit und geben dabei die Perspektive einer zukunftsfähigen Gesellschaft auf. Sie werden vom System aufgesogen.

Eine Auseinandersetzung mit den westlichen Systemen verfolgte Bahro konzentriert in seinem zweiten  Hauptwerk „Logik der Rettung“. Dort zielt er auf eine grundsätzliche Kritik der patriarchal, kapitalistischen Zivilisation. Täglich gelangen weltweit Millionen Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre und schließen die Wärmefalle immer weiter, ungefähr drei- bis vierhundert Tier- und Pflanzenarten sterben täglich aus. Wüstenregionen dehnen sich rasant aus. Innerhalb weniger Generationen werden die nicht erneuerbare Rohstoffe wie z.B. Erdöl aufgebraucht, die in Jahrmillionen entstanden. Die Bevölkerungszahl auf der Erde verdoppelt sich in immer kürzeren Abständen, ebenso wie die „Geburtenrate“ von Automobilen. Wir sind langfristig dabei, die irdischen Belastungsgrenzen an immer mehr Stellen zu durchbrechen. Bahro meint, wir müßten die Industriegrundlast im Schnitt um  den Faktor 10 zurückfahren, wenn wir die Absicht haben sollten, auf der Erde weiter verweilen zu wollen. Die ökologische Weltkrise stelle unsere gesamte Gesellschafts­verfassung in Frage bis in die tiefenpsychologischen Strukturen hinein. Dies verbindet er mit einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik, spart aber auch Fragen nach dem darunterliegenden patriarchalen Untergrund und dem europäischen Entstehungshorizont, der europäischen Kosmologie nicht aus.

Er verweist darauf, es reicht nicht aus, die  Marxsche Vision der Verwaltung von Sachen anzustreben, wir brauchen auch eine Emanzipation von der Selbstsucht und vom Habenmüssen. Ökologische Politik beginne mit dieser inneren Perspektive. Zudem popularisiert Bahro die Neubegründung kleiner Lebenskreise, wie das dann auch in dem ökologischen Landgut Pommritz als einem praktischen Versuch seinen Niederschlag fand. Wenngleich man die Vielfalt alternativer Lebensorte in Deutschland eher unterschätzen wird, so kann dies vermutlich nicht der einzige Pfad für eine Veränderung unser Logik des Mißlingens sein, selbst wenn man die Einrichtung eines Ökologischen Rates als oberstes Verfassungsorgan mit einschließt.

Im Frühjahr 2001 erscheinen unter dem Titel „Wege zur ökologischen Zeitenwende“, zusammen mit Beiträgen von Franz Alt und Marko Ferst, eine ganze Reihe noch unbekannter Texte von Bahro erstmals, alle aus den letzten Lebensjahren. In mehreren Vorlesungen zum zukunftsfähigen Deutschland lotet er erneut aus, was alles nicht mehr hinreicht, um zu einer Gesellschaft mit menschlichem Antlitz zu kommen. In seinem letzten Aufsatz stellt er noch mal die Frage nach einer Kulturordnung zur Debatte, die auf Herz und Geist gebaut ist und nicht auf Beton und Chips.

Das Rudolf Bahro-Archiv an der Humboldt-Universität will zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf längere Sicht einen weiteren Band mit Vorlesungen herausgeben, die Bahro in seiner Zeit als Professor für Sozialökologie in Berlin gehalten hat.

Dissidenz, als die Frage nach der richtigen inneren und äußeren Verfaßtheit von Mensch und Gesellschaft, war nicht nur zu DDR-Zeiten ein rares Gut. Auch in den heutigen Verhältnissen ist sie aufgetragen, wenn es um die Selbstbegrenzung des industriellen Expansionismus geht, um den Erhalt einer menschwürdigen Existenz. Es scheint mir sinnvoll zu sein, die Konzeptionen Rudolf Bahros in ihren Stärken zu sichten, aber mit neuen Fragestellungen könnte künftiges „Vordenken“ auch schwächere Punkte alternativ formulieren.

 

Heute wäre Rudolf Bahro 65 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß findet am Montag, den 20.11.2000 eine Ausstellungseröffnung und ein Symposium mit Vorträgen von Volker Braun, Dieter Klein und Maik Hosang im Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6 um 18.30 Uhr statt.

 

18.11.2000, ND, Org. 


 

 

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