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Die LINKE braucht eine Theorie der
„Ökologischen Ökonomie“
Götz Brandt
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Was die LINKE heute an wirtschaftspolitischen Vorschlägen anbieten
kann, erschöpft sich in Vorschlägen à la Keynes, dass
der Staat durch Investitionsprogramme die Wirtschaft ankurbeln, mehr
Arbeitsplätze und mehr Wachstum schaffen soll. Damit wird aber nur
die Rettung der kapitalistischen Wirtschaft unterstützt.
In der gegenwärtigen Finanzkrise ist die Zahl derjenigen Menschen
erheblich gewachsen, die im Kapitalismus eine ungeeignete Wirtschaftsform
erkennen, um die Weltprobleme wie Klimawandel, Hunger und Krieg in weiten
Teilen der Welt, Rohstoffraubbau und Umweltverschmutzung zu lösen.
Insbesondere im Osten, wo die Menschen über Jahrzehnte eine andere
Wirtschaftsordnung kennengelernt haben, wird der Kapitalismus von vielen
abgelehnt.
Die politische Linie der LINKEN, unter Beibehaltung der kapitalistischen
Wirtschaftsordnung etwas mehr Gerechtigkeit einzufordern und dafür
auch Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen, wird durch die
gegenwärtige Zuspitzung der Finanzkrise ad absurdum geführt.
Auf der Tagesordnung steht der Systemwechsel, denn es finden sich Mehrheiten,
die im Kapitalismus eine Wirtschaftsordnung sehen, die die Menschheit
in den Untergang führt. Reformierung und Zukunftsfähigkeit
des Kapitalismus herstellen zu wollen, können nur eingefleischte
Neoliberale noch erträumen.
Im Parteiprogramm zwar wird gefordert, „die Sackgasse einer sozial
und ökologisch zerstörerischen Wachstums zu verlassen“, „eine
alternative Produktions- und Lebensweise“ zu erreichen, „der
Zerstörung der natürlichen Umwelt muss Einhalt geboten und
den nachfolgenden Generationen eine bewohnbare Welt hinterlassen werden“.
Daneben gibt es auch weniger klare Formulierungen zum Wachstum und zum
Profitstreben. Zu diesen Zielstellungen im Parteiprogramm und der gegenwärtigen
wirtschaftlichen Entwicklung fehlt eine entsprechende ökonomische
Theorie.
Selbst die „Naturfreunde Deutschlands“, eine Organisation,
die nicht zu den linken gezählt werden kann, kommt unter dem Eindruck
des Klimawandels, der Verknappung und Verteuerung der Rohstoffe, der
Hungerkrisen in Ländern der Dritten Welt und nicht zuletzt der gegenwärtigen
Finanzkrisen zu dem Schluss: „Statt jetzt - wie die Bundesregierung
- den Krankenpfleger am Bett des Kapitalismus zu spielen, sind Systemreformen
notwendig, die den produktiven Sektor stärken und die Finanzmärkte
in die Schranken weisen. Die Naturfreunde fordern die Bundesregierung
auf, die Wirtschaft sozial und ökologisch zu gestalten, statt nur
auf Krisen zu reagieren.“ Wo gibt es aktuell solche Forderungen
von den Linken?
Im Ergebnis der UN-Konferenz in Rio 1992 (Agenda 21) haben sich die Teilnehmerstaaten
auf ein dauerhaft umweltverträgliches Wohlstandsmodell als Gesellschaftsziel
geeinigt, was aber leider nicht direkt rechtsverbindlich für alle
Staaten wurde. Im Zusammenhang mit dieser Zielstellung kann die gegenwärtige
Höhe und Produktstruktur der Industrieproduktion der führenden
Staaten dieser Welt nicht mehr verantwortet werden. Um die Menschheit
vor einer zumindest auf dem Gebiet des Klimawandels zu erwartenden Katastrophe
in den beiden nächsten Generationen zu bewahren, müsste sofort
mit dem Umbau dieser Industrieproduktion begonnen werden. Wo gibt es
bei diesem vereinbarten Ziel die konkreten Vorschläge der Linken
zum Umbau der Industrieproduktion in Deutschland?
Dass dieser Umbau in den Industrieländern nicht in Angriff genommen
wird, hat dem Kapitalismus immanente Ursachen. Dass die kapitalistische
Wirtschaft naturzerstörend wirkt, ist heute allgemein bekannt.
Von den Regierungen und der Wirtschaft wird diese Tatsache aber entweder
ignoriert oder nicht anerkannt. Die Frage ist, ob im oder durch den Kapitalismus
das vorhandene Destruktionspotenzial eliminiert oder wirkungslos gemacht
werden kann oder ob es dem Kapitalismus immanent ist, wie Marx meint,
die Natur und den Arbeiter zu zerstören?
Ziel der Unternehmer ist es, einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen.
Die Bedingungen des Konkurrenzkampfes zwingen ihn dazu. Entweder er erzielt
hohe Profite und dehnt seine Produktion aus oder er geht im Konkurrenzkampf
unter. Die Stofflichkeit der Waren wird benutzt, um auf dem Markt Mehrwert
zu erzielen. Die Gebrauchswertproduktion findet unter dem Primat der
Kapitalverwertung statt. Das Ziel, das Mehrprodukt endlos zu erhöhen,
erfordert die endlose Umwandlung von Massen verschiedener Stoffe. Naturzerstörerisch
ist also nicht die Gebrauchswertproduktion an sich, sondern die Kopplung
dieser mit den Zielen des Verwertungsprozesses. Dadurch wird die kapitalistische
Produktion zur ausplünderischen und zerstörenden Kraft gegenüber
der Natur. Zwar ist die Kapitalverwertung endlos und maßlos, aber
nicht die stoffliche Basis. Zwangsläufig werden eines Tages die
Grenzen der Belastung der Ökosysteme überschritten. Dieser
Tag liegt bereits in der Vergangenheit. Berechnungen verschiedener Institute
und Wissenschaftler haben ergeben, dass wir die Natur bereits zu 20 % übernutzen.
Damit ist das allgemeine kapitalistische Gesetz des sich ewig verwertenden
Wertes bereits an seine stofflichen Grenzen gestoßen. Eine Regeneration
oder Reparatur der Natur sieht die kapitalistische Marktwirtschaft nicht
vor. Aufgabe der LINKEN ist, diesen Prozess zu stoppen. Der naturblinde
Markt muss durch Einpreisung der externen Kosten sehend gemacht werden.
Das Kapital muss der Natur untergeordnet werden. Die Ressourcen- und
Umwelterhaltung ist wichtiger als die Kapitalvermehrung.
Zu diesen auch den linken Ökonomen allgemein bekannten theoretischen
Aussagen der „Klassiker“, fehlt die den heutigen Bedingungen
adäquate ökonomische Theorie der LINKEN.
Die für die LINKE notwendige ökonomische Theorie wurde in den
vergangenen Jahren von der wissenschaftlichen Schule der „Ökologischen Ökonomie“ bereits
weitgehend ausgearbeitet. In kurzen Zügen soll diese Theorie hier
dargestellt werden. Im jüngst erschienen Buch von Prof. Holger Rogall „Ökologische Ökonomie“ wird
diese Theorie ausführlich vorgestellt (VS Verlag für Sozialwissenschaften,
2. Aufl. 2008. ISBN 978-3-531-16058-0). Die folgenden Ausführungen
sind diesem Buch entnommen. Deshalb werden auch wörtlich übernommene
Textstellen nicht in Anführungsstriche gesetzt.
Die heute herrschende Wirtschaftsschule der neoklassischen Ökonomie
geht vom Menschenbild des Homo oeconomicus aus, der sich streng eigennutzstrebend
verhält. Dieses Dogma der Konsumentensouveränität bedeutet,
dass jeder einzelne weiß, was für ihn am besten ist, und aus
dessen Wünschen sich die gesellschaftliche Wohlfahrt (Lebensqualität)
einstellt. Käufer und Konsumenten verhalten sich zweckrational.
Da die Menschen unbegrenzte Bedürfnisse haben, ist eine kontinuierliche
Produktionssteigerung und effiziente Produktion notwendig. Der Staat
darf hier nicht eingreifen.
Der Schutz der natürlichen Ressourcen wird zu einem rein ökonomischen
Problem erklärt. Der Mensch müsse die knappen Ressourcen so
verbrauchen, dass eine Wohlstandssteigerung erreicht werden kann.
Kritik an der neoklassischen Ökonomie. Die neoklassische Wirtschaftstheorie
ist im 19. Jahrhundert entstanden. Heute ist aber klar, dass die erneuerbaren
Ressourcen (Tiere und Pflanzen) in ihrer Regenerationsrate bei vielen
Arten bereits überschritten sind. Nicht erneuerbare Rohstoffe und
Primärenergieträger sind endlich und werden bereits heute knapp.
Die Umweltmedien Boden, Wasser und Luft werden zunehmend vergiftet. Unsere
Lebensgrundlagen werden seit dem 2. Weltkrieg durch die stark angestiegene
industrielle Produktion übernutzt und gefährdet.
Hätte der Markt einen Selbststeuerungsmechanismus, wie die neoliberalen Ökonomen
behaupten, dann müssten sich alle Kosten im Produktionspreis niederschlagen.
Aber „die Preise der Produkte sagen heute nicht die ökologische
Wahrheit“ (E. U. v. Weizsäcker). Die Kosten für die Nutzung
der natürlichen Ressourcen, die Umweltschäden, werden externalisiert,
und dadurch können die Güter unter den volkswirtschaftlichen
Kosten verkauft werden. Die Umweltkosten werden auf den Steuerzahler,
künftige Generationen und die Natur abgewälzt. Durch dieses
Marktversagen ist der Staat gezwungen, die natürlichen Ressourcen
vor Übernutzung zu schützen. Da aber der Staat fest in der
Hand der Unternehmer ist, gibt es vonseiten der Regierung nur unzureichende
halbherzige Aktionen.
Die Politiker sind nicht daran interessiert, die Lebensqualität
der Gesellschaft dauerhaft über einen langen Zeitraum zu verbessern.
Sie setzen keine wirksamen ökologischen Leitplanken. Die ressourcenintensive
Durchflusswirtschaft führte dadurch zu einer technischen und technologischen
Fehlentwicklung. Es entstand so ein maximaler Output der Industrie und
im Gefolge ein ressourcenintensiver Lebensstil in den Industrieländern.
Aufgabe des Staates wäre, durch ordnungsrechtliche Instrumente die
Internalisierung der Umweltkosten zu verordnen sowie marktkonforme Instrumente
als Anreiz für Veränderungen zu veranlassen. Ansonsten bleibt
der Staat auf den anwachsenden Umweltkosten sitzen und wird in seiner
Finanzkraft zukünftig weit überfordert.
Sollen die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung aufrecht erhalten werden,
muss das Dogma der Konsumentensouveränität für käufliche
Güter aufgegeben werden. Die Käufer unterlassen oft die ausreichende
Vorsorge zugunsten des derzeitigen Konsums und bewerten Risiko und Folgen
ihrer Käufe falsch. Eine unmittelbare Ursachen-Wirkungs-Beziehung
ist für den Einzelnen auch nur schwer oder nicht zu erkennen. Wasser,
Boden und Luft werden wie öffentliche Güter behandelt, die
weder knapp sind, noch einen Preis haben. Letztlich wird die Rationalität
der Käufer durch Werbung und Modetrends erheblich eingeschränkt.
Die Naturvergessenheit der herrschenden neoliberalen Ökonomie wird
immer sichtbarer, je mehr im globalen Maßstab die Natur übernutzt
wird. Zahlreiche Wissenschaftler sind daher der Meinung, dass eine Ökokatastrophe
nicht mehr zu verhindern sei.
Aus der Kritik der neoklassischen Umweltökonomie ist in den 80er
Jahren die Ökologische Ökonomie hervorgegangen. Kernaufgabe
dieser Wissenschaft ist die Erreichung hoher ökologischer, ökonomischer
und sozial-kultureller Standards für heutige und künftige Generationen
im Rahmen der natürlichen Tragfähigkeit. Der gegenwärtige
Entwicklungspfad der Gesellschaft in den Industrieländern und den
Ländern, die ihnen nacheifern (China, Indien), ist ohne eine Richtungsänderung
dauerhaft nicht aufrechtzuerhalten.
Die Kernaussagen der Ökologischen Ökonomie sind:
- Anerkennung der absoluten Grenzen der Natur und deshalb dauerhafte
Erhaltung der Ressourcen und nicht deren optimalen Verbrauch.
- Ersetzung des traditionellen Wachstumsparadigmas durch ein Nachhaltigkeitsparadigma.
Ein exponentielles Wirtschaftswachstum mit der Inanspruchnahme natürlicher
Ressourcen kann es langfristig nicht geben.
- Eine nachhaltige Entwicklung beruht auf den ethischen Prinzipien der
intra- und intergenerativen Gerechtigkeit und Verantwortung.
- Notwendigkeit einer partizipativen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit,
damit ein gesellschaftlicher Diskurs- und Partizipationsprozess möglich
wird.
- Notwendigkeit der Änderung der Rahmenbedingungen mittels politisch-rechtlicher
Prozesse, damit ein nachhaltiges Verhalten für Konsumenten und Produzenten
vorteilhaft wird.
- Sozialökologische Markt- oder Gemeinwirtschaft, das heißt,
keine reine Marktwirtschaft, aber auch keine reine Verwaltungswirtschaft.
- Anerkennung besonderer globaler Voraussetzungen für eine nachhaltige
Entwicklung, Einführung eines internationalen Ordnungsrahmens, Senkung
des Pro-Kopf-Verbrauchs in den Industrieländern um 80 bis 90 % bis
2050, Verminderung der Bevölkerungszunahme der Entwicklungsländer.
Diese Kernaussagen wurden von der Wissenschaft der „Neuen Umweltökonomie“ weiterentwickelt.
Hauptvertreter ist Prof. Holger Rogall.
- Es besteht die Chance einer dauerhaft aufrechthaltbaren Entwicklung.
Ein Ende der Ökonomie ist in absehbarer Zeit nicht naturgesetzlich
vorgeschrieben.
- Es wird keine Gleichgewichtsökonomie (Steady-State-Economy) angestrebt,
sondern ein selektives Wachstum in den Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit.
Zukunftsfähige Produkte, Verfahren und Strukturen müssen die
nicht nachhaltigen Techniken, Verfahren und Strukturen ersetzen.
- Es kann nicht auf einen „neuen Menschen“ gewartet werden,
denn der Kern menschlicher Verhaltensweisen ändert sich nur in extremen
Notsituationen. Auch wenn die menschliche Natur nicht geändert werden
kann, sind Lernprozesse dennoch notwendig.
- Das Menschenbild muss sich vom Homo oeconomicus zum Homo cooperativus
wandeln. Die Flexibilisierung, Bindungslosigkeit, Entpolitisierung, Verflachung
aller Gesellschaftsmitglieder muss durch Abschaffung des Zwanges zu einem
sozialen Wachstum der Einzelmitglieder überwunden werden. Werden
die Grundbedürfnisse erfüllt, können Menschen glücklich
leben.
Die vorstehenden Formulierungen könnten fast ohne Abstriche in ein
neues Parteiprogramm der LINKEN aufgenommen werden. Die LINKE tritt vehement
für Gerechtigkeit in der Gesellschaft ein. Vorrangig und aus aktuellen
Anlässen für die soziale Gerechtigkeit. Aber soziale Gerechtigkeit
kann nur auf der Grundlage einer ökonomischen und ökologischen
Gerechtigkeit gedeihen. Hinzu kommt die Verantwortung für zukünftige
Generationen, die eine intergenerative Gerechtigkeit erfordert. Das Gerechtigkeitsprinzip
als zentraler Bestandteil des Parteiprogramms muss also auf alle Gebiete
des gesellschaftlichen Lebens ausgedehnt werden.
Die Übernutzung der natürlichen Lebensgrundlagen wird im bisherigen
Parteiprogramm nur unzureichend thematisiert: Klimaerwärmung, Übernutzung
der erneuerbaren Ressourcen, Raubbau an nicht erneuerbaren fossilen Energieträgern
und Industrierohstoffen, Zerstörung von Ökosystemen sowie von
Artenvielfalt und Landschaften, Gefährdung der menschlichen Gesundheit
durch die industriellen Produkte und Abfälle. Das muss im neuen
Parteiprogramm stärker berücksichtigt werden.
Alle diese Themen werden von der Ökologischen Ökonomie aufgegriffen
und Lösungswege aus den möglichen zukünftigen Katastrophen
gezeigt. Es ergibt sich deshalb die Frage, welche politischen, ökologischen, ökonomischen
und sozial-kulturellen Leitlinien können aus dieser Wissenschaft
für die LINKEN nutzbar gemacht werden? Hier eine Auswahl:
1. Die Güter und Ressourcen müssen gerecht verteilt werden,
innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Generationen.
2. Der Material- und Energiedurchsatz der Gesellschaft muss auf die Tragfähigkeit
der Natur begrenzt werden.
3. Ein dauerhaft aufrechthaltbares Maß des Ressourcenverbrauchs
muss innerhalb von 20 Jahren erreicht werden, um die Natur nicht irreversibel
zu schädigen und künftigen Generationen noch Ressourcen zu
belassen.
4. Es muss eine Position der strikten Nachhaltigkeit vertreten werden.
Die ökologische Wahrheit kommt in den marktwirtschaftlichen Preisen
nicht zum Ausdruck. Die externen Kosten müssen in die Preise internalisiert
werden.
5. Politisch-rechtliche Instrumente sind notwendig, um den Markt mittels ökologischer
Leitplanken und Preisfestsetzungen zu beeinflussen.
6. Das Menschenbild des heterogenen Homo cooperativus muss entwickelt
werden. Gefördert werden müssen Eigenschaften wie die Fähigkeit
zum langfristig orientierten kooperativen Handeln, Fähigkeit zum
Hineinversetzen in andere, Anerkennung und Berücksichtigung der
Interessen anderer, Verantwortungsgefühl für Menschen in anderen
Ländern und Kontinenten und für zukünftige Generationen.
7. Ursache für die Übernutzung der Natur ist das Profitstreben
im Konkurrenz-Kapitalismus. Die reine Marktwirtschaft mit Konsumorientierung
der Gesellschaft verhindert die Lösung der Probleme.
8. Selbstheilungskräfte des Marktes funktionieren nicht, Selbstverpflichtungen
der Industrie werden nicht eingehalten, so dass staatlich verordnete ökologische
Vorschriften eine weitere Übernutzung der natürlichen Ressourcen
verhindern müssen.
9. Das Wirtschaftswachstum mit steigendem Materialverbrauch muss eingestellt
werden. Allein durch Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit der erzeugten
Güter kann der Materialverbrauch halbiert werden, ohne dass der
Wohlstand gesenkt werden muss.
10. Die Entwicklung der Wirtschaft muss durch Effizienz gekennzeichnet
sein, indem die Produkte stoff- und schadstoffärmer hergestellt
werden und eine Kreislaufwirtschaft organisiert wird. Nicht ökologische
Produkte müssen durch erneuerbare substituiert werden. Neue Lebensstile
und neue Konsummuster müssen zur Dematerialisierung und Strukturänderung
in der Wirtschaft beitragen.
11. Notwendig ist eine Trendumkehr der vergangenen 250 Jahre industrieller
Entwicklung hin zu einer Senkung des Ressourcenverbrauchs und einer höheren
Lebensqualität bei Befriedigung der Grundbedürfnisse.
Oft wird verlangt, die Systemfrage zu stellen, weil der Kapitalismus
unfähig ist, sich selbst und die Menschheit zu retten. Ist es sinnvoll,
diese Frage unter den gegebenen Machtverhältnissen zu stellen?
Die Wirtschaftsverfassung der BRD und der EU ist die „offene Marktwirtschaft
mit freiem Wettbewerb“ (Art. 4 Abs. 1 EVG). Damit ist eine zentrale
Verwaltungswirtschaft mit Staatseigentum an den Produktionsmitteln, wie
heute von Kommunisten gefordert, ausgeschlossen.
Eigentum muss aber in der BRD dem Wohle des Volkes dienen (Art. 14 GG).
Auch können Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt
werden (Art. 15 GG). Das Nachhaltigkeitsprinzip schränkt den freien
Wettbewerb in der offenen Marktwirtschaft ein (Art. 20a GG). Der Staat
kann also eingreifen, wenn ein Marktversagen vorliegt. Er könnte
als ersten Schritt die „freie Marktwirtschaft“ zu einer „sozial-ökologischen
Marktwirtschaft“ drängen und lenken. Dazu muss der Staat in
die Wirtschaft eingreifen. Das wird ihm bisher nur bei der Sozialisierung
der Verluste der Konzerne gestattet. Beispiel aus jüngster Zeit
ist die Rettung von Banken, die sich verspekuliert haben.
Bei den gegenwärtigen Machtverhältnissen in allen kapitalistischen
Industrieländern ist eine Umstrukturierung der Wirtschaft hin zu
einem naturverträglichen Kurs sehr schwierig, zumal das staatliche
Steuerungspotenzial zugunsten der Verhandlungsmacht von multinationalen
Systemen bereits weitgehend aufgegeben wurde.
Eine Enteignung von Wirtschaftsunternehmen kann daher nicht Programmpunkt
der LINKEN sein. Die Umstrukturierung der Wirtschaft muss durch ausgewählte ökonomische
Instrumente zu einer sozial-ökologischen Markt- oder Gemischtwirtschaft
führen. Fügen sich die Konzerne nicht einem sozial-ökologischen
Ordnungsrahmen, dann sollten diese Konzerne in die Treuhand des Staates
genommen werden. Bewirtschaftung wie in einer Genossenschaft ohne Gewinnausschüttung
macht Mittel für die Reparatur der Umwelt frei.
Wird behauptet, dass der Staat das nicht kann, dann müssen die Erfahrungen
der staatlichen Treuhandgesellschaft angeführt werden, die die ganze
DDR-Volkswirtschaft mit 45 000 Einzelbetrieben über Jahre geführt
hat, zwar mit einer anderen Zielstellung, aber die kann ja entsprechend
vorgegeben werden. Der Staat ist also sehr wohl in der Lage, Industriebetriebe
zu lenken, wenn diese Aufgabe gestellt wird. Allerdings muss die Aufgabenstellung
einer solchen Treuhandgesellschaft den Zielen der Ökologischen Ökonomie
entsprechen.
Um eine solche Entwicklung durchzusetzen, muss in den zukünftigen
Wahlkämpfen das Unvermögen der ungebremsten kapitalistischen
Wirtschaft thematisiert werden, um die Gesellschaft und die Natur vor
den kommenden Katastrophen zu retten. Solange die Minister und Staatssekretäre
in der Wirtschaft für ihre Verdienste für das Kapital in die
Vorstandsetagen aufgenommen werden und Konzernmitarbeiter in den Ministerien
die Gesetze ausarbeiten, wird sich bestimmt nichts ändern. Enge
personelle Verflechtungen zwischen Konzernen und Regierung garantieren
den Machteinfluss der Wirtschaft.
Nur über den Weg der Erkämpfung der politischen Macht führt
ein Weg zur Rettung von Natur und Gesellschaft. Deshalb ist die Verteidigung
des Grundgesetzes, die Bewahrung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit
so wichtig.
aus:
Götz Brandt
Ökologische Umbrüche und Technik
Leitlinien für eine ökologische Linke
300 Seiten, Edition Zeitsprung,
15,90 €, 2011
www.umweltdebatte.de
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