Bahro ein Mystiker - Symposiumsbeiträge zum 70. Geburtstag Rudolf Bahros als Buch erschienen

Andrej Bahro

70 Jahre wäre Rudolf Bahro im vergangenen Herbst geworden. Eigentlich lieber 100 Jahre. Dann hätte er 40 Jahre mehr Zeit gefunden, unsere Lebenslage nun an den untrügerisch explodierenden Lebenssituationen zu erklären. Er war leider nur bis zur Analyse gekommen. Eine wohlwollende Analyse ohne Anfeindungen der Gegner, die ihn von dem in diesen Tagen ebenfalls 70 Jahre alt werdenden Wolf Biermann und anderen unterschied.

Zu seinem 70. Geburtstag trafen sich im vergangenen Herbst Wegbegleiter und Wissenschaftler, um die Frage der Integration von Natur, Kultur und Mensch in einem Symposium zu rehabilitieren. Nicht weil er das gewollt hätte, sondern weil andere es versprachen, aber nie taten - was im Falle der Partei „Die Linke“ eine erhebliche Entscheidung über ihre Ernsthaftigkeit wäre.

Dass noch heute die Frage sozialen und ökologischen Gleichklanges in einer weltwissenschaftlichen Metropole wie Berlin geklärt werden kann, verdanken die Vergangenheit und die Zukunft des einmaligen Werkes Rudolf Bahros denen, die mehr Verantwortung zeigen, als ihre wissenschaftlichen Vorgänger zeigen durften und teilweise darum nicht wollten. Das Rudolf-Bahro-Archiv, an der Berliner Humboldt-Universität in der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät philosophischen Zwecken bislang erst einmal philosophisch mystisch zugeordnet, soll nun seinen Weg in die Uni-Bilbliothek finden. Eine großartige Einsicht, ein Archiv langfristiger zu unterhalten, wo doch die Fragen, die Bahro aufwarf, fast alle offen sind: wie wir die Menschen wieder zu Miteinander und gleichzeitigem Arbeiten bewegen wollen, ohne sie in Illusion oder Ausbeutung zu verderben. So bleibt mir die Freude, das mein Kinderspielplatz in den slawischen Seminarräumen meiner Mutter (in den Fällen das der Kindergarten mal geschlossen war) mir auch als väterliche Werkherberge für meine Kinder erhalten bleibt.

So wird dem Werk Bahros, das in jeder Gesellschaft die Beliebigkeit der Ordnung in Frage stellte, solange sie sich nicht an die Naturordnung gewöhnt, eine Zukunftschance gelassen. Auch eine Chance, nicht wie in der DDR unterdrückt zu werden, weil jeder, der das Werk kennt, im Bauch merken kann, dass Bahro Recht haben wird. Und dass er nicht Recht haben will in letzter Konsequenz, weil dann unser Szenario Menschheit tatsächlich nur noch lustlos, chancenlos und unabänderbar versinken wird.

Gut also, dass an der Stätte, an der Bahro formte, auch die Backformen aufbewahrt werden.

Nun ist also ein Buch über diese Arbeit erschienen. Von Maik Hosang, seinem Schüler, und Kurt Seifert, der schon an einer Biografie über ihn mitwirkte. In diesem neuen Buch finden sich Lebensstationen und Beleuchtungen - was uns von Bahro geblieben ist.
Nun bin ich kein Literaturkritiker und schon gar kein Literatur-Papst, aber ich kann aussagen, dass mir ein nicht wirklich benörgelbares Sachbuch ausgehändigt worden ist, das in seiner Ausgewogenheit der Themen alle wichtigen Fragen ohne Beweislastigkeiten auf dem gütigen Lebenswandel nicht insgeheim urteilt, sondern betrachtet. Mit liebevollem Blick auf das Werk beschäftigen sich die Autoren mit Rudolf Bahro und offenbar auch ganz persönlich mit „ihrem“ Werk. Mal nicht vor der Utopie vergreisend und erschüttert gelähmt, sondern optimistisch auf Wahrhaftigkeit untersuchend. Natürlich mit einem Rest an Mystik, von dem ich mich auch nicht befreien kann, weil Mystik im Werk befunden ist.

Ich will hier zwei Beiträge herausheben, die Bahro als prüfenden, testenden, fürsorglichen, naiven Menschen fokussieren.

Friedrich W. Sixel, ein in Kanada lebender deutscher Zivilisationsforscher, klärt die Frage, ob Bahro ein Mystiker war. Der Vorwurf, der vielen Intellektuellen half, sich vom Werk fernzuhalten: der ist da geklärt. Und richtig geklärt. Bahro erkannt als einer, der nicht nur „meinte“, sondern probierte, wo Lösungen verborgen sind. Eine Art Chemielabor. Auch einer der Gründe, warum er zu Tausenden sprach, die ihn auch ausbuhen durften, wenn er die zehn erreichte, die uns als Menschheit mit dem richtigen Gedanken weiter begleiten werden. Der Professor, 1934 geboren und weise, kommt wahrheitsgenau zum Schluss „mystischer Nichtmystiker bleibt Nichtmystischer“.

Und wie ich nun einmal so bin, habe ich den Anhang zuerst gelesen. Der Anhang ist der persönliche Teil seines Anwalts und politischen Schalkkollegen Gregor Gysi, der sich überraschend als ein Bewundernder outet und Bahro als das „Belesenste und Gebildetste“ outet, „was er je hat Rüben kauen sehen“. Dieser immer unaufdringlich fürsorglich als Anwalt für ihn zeitlebens sorgende Spezialist schreibt, wie Bahro und Gysi einander mochten, aber nicht immer verstanden bei gegenseitigem Verstehen. Gregor Gysi, der das Werk Rudolf Bahros verteidigte und sich dabei Fragen über seinen Rübenkonsum und seine Mobilität stellen sollte, wo er eigentlich schon mit Bahros politischer Widerspenstigkeit die eigene Kariere arg verderben wollte. Gysi schreibt eine herrliche Geschichte einer Haftbetreuung, über die ich mich noch tagelang vor Lachen nicht halten konnte. Und die, so ich beide gut kenne, in Kürze, Würze und Dramaturgie nach Jahren immer noch detailliert und auf Wahrheit basierender Trostlosigkeit belegt, wie man politische Meinungen nicht teilen, so doch tragen muss, wenn das Ziel eint und der Weg nur zusammen bestanden werden kann. Und das so, dass es von keinem Komiker der Welt übertroffen werden könnte. Ich entdecke da immer die wahre Kultur, wenn ich diese beiden Herren hantieren sehe oder, wie in diesem Falle, lese.

Maik Hosang, Kurt Seifert: Integration. Natur-Kultur Mensch

Zusammengefasst? Ein wissenschaftlich orientiertes Werk, das die esoterische Vorwurfshaltung verlässt, um den zweifelsfrei ernsthaftesten allparteilichen, systemunangeschlossenen und konfessionsfreien Gesellschaftskritiker und Lösungsoptimisten in dem zu beleuchten, was er war: Einer, der für die Wahrheit, die er selber nicht mochte, mahnte und sich dafür lieber sehenden Auges jahrelang bis tief in die Nacht für die Freiheit aller Menschen ins politische Gefängnis schrieb, um Wissenschaft der Zukunft aus dem diffusen Ahnen in ein erklärbares Bild zu rücken. Während er schon politisch als Zeitungsredakteur des „Forums“ verbannt in ein „Gummikombinat“ als Ökonom der Volkswirtschaft auf die Beine half und seine Familie damit ernährte.

Man muss allerdings etwas für diese Verantwortungskunst übrig haben, um sie nicht nur zu verstehen, sondern an der Klarheit der damit feststehenden Zukunft nicht zu verbittern. Sozusagen sich täglich zweimal aus dem Bett aufrichten. Einmal für das Leben, in dem nichts weitergehen wird, und einmal dafür, dass man dagegen etwas unternehmen sollte. Was einem vor dem Bett erwartet, ist an Bahro ja belegt. Er verzweifelte nicht; warum sollten wir es wegen weniger tun? Wir könnten uns sofort aufmachen, keine Zeit verschwenden. Könnten praktische Experimente starten und, statt uns nur mit Kritik zu befassen, die Auswege suchen. Also um es der „Linken“ klar zu sagen: „Was macht ihr dann mal schöner“. Nach Bahros Ansicht hilft da immer, ganz viel erst in der Theorie, dann in einer erlebbaren Praxis und danach auch in einer emotionalen Hinsicht Gas zu geben.

Erkennbar wird, dass der Anschub, den Bahros Werke gaben, nicht eine breite, sondern eine wissende Basis in diesem Buch gefunden hat. Wenn eine neue Basis es nun noch schafft, Bahro - wie er immer sagte - „auf unser kleines Häuschen“ zu übertragen, und die Wirtschaft erkennt, dass wir schon alles haben, was wir nicht brauchen, dann könnte alles noch gut werden. Aber Wirtschaft ist ja das Diktat, das so wichtig für uns ist, dass ihm alles unterzuordnen ist. Das hat die DDR so gesehen, und ich weiß nicht, ob es an Frau Merkel aus der DDR liegt, aber - die Bundesrepublik sieht es auch gerade so.

Das alles jedenfalls habe ich auch aus diesem einmal weniger verklärten, sondern inhaltlichen Buch geschlossen, als ich es von hinten über die Mitte nach hinten durch und dann den Rest von „vorn“ zur Mitte gelesen hatte. So dachte Rudolf Bahro im Ganzen aus der Sicht derer, die damit befasst sind, ihm den Dank nicht zu versagen. Wer das macht, kann sich Illusionen sparen und die gewonnene Zeit erst in Reflexion, dann in Selbstbegrenzung und dann in Umsetzung für alle verwenden. Wenn man für „Alle“ etwas übrig haben will. Das heißt, wenn man auch noch den politischen oder kulturellen Scheingegner nicht verbannen oder vernichten, sondern mitnehmen will in eine gemeinsame und gemeine Zukunft.

In diesem Buch geht es um die Suche nach einem kreativen und zukunftsfähigen Lebensstil, den wir möglichst instantan umsetzen sollten. Einen, der noch restaurierbare Grundmauern kennt und nicht in wenigen Jahren in Bildungsnotständen verschüttet ist. Und um kollektive Rücksicht gegenüber dem Naturzusammenhang. Das Buch: eine Rehabilitation von Rudolf Bahro vor dem Hintergrund der Erkenntnisse bis zum Jahr 2005. Dessen Brisanz sich in 2006 durch die Meldungen zur Klimalage und der Frage, ob die Dritte Welt unseren 100 Jahre alten CO2-Ausstoss mitbezahlen soll, nun auch langsam wirtschaftspolitisch überhaupt nicht mehr verklärt betrachten lässt. Das Inferno Mensch ist zügelloser als je zuvor. Katalysatoren an Autos und Passivhäuser (hörte man dieser Tage aus dem Umweltministerium) haben keine Wirkung, weil Autos sich vermehren und weniger Menschen auf mehr Quadratmetern Energie absaugen. Bundeskanzler werden globalunternehmerische Berater und fangen bei russischen Gaswerksmonopolisten als Aufsicht an. Bahro behält nicht nur Recht. Er bekommt es regelrecht dicke. Und endlich kommt ein Minister auf die Idee, die sparsamsten Geräte zum Standard zu machen. Das könnte eine grüne Idee sein, wie auf der Titanic noch besser geputzt werden könnte. Keiner kommt auf die Idee, die Technik an das Lebensmodell anzupassen. Also soziotechnopologische Zirkel zu gründen, in denen sozialökologisch praktisch losgelegt wird. Bevor das Vertriebsdiktat der Konzerne uns wieder vorschreibt, wie unsere Produkte aussehen dürfen, wenn alle Patente aufgekauft und ihre akkumulative Wirtschaftlichkeit; sachzwangvorschubleistend, uns weitere 20 Jahre der 200 Jahre kostet, in denen wir die 100 Jahre Industriekapitalismus in die Welt bliesen. Gut nur, dass der größte Anbieter von Klimaanlagen in China begriffen hat, was chinesische Industrieabgase nun unserem Jahrhundert nachblasen wollen. Der ist ernsthaft Umweltfreund, nachdem sein Umsatz gesichert und getätigt ist. Also auch im Osten nichts Neues. Der Osten erglüht und China wird jung. Manchmal sollte man lieber auf die Alten hören.

Wenn man also nur noch einen konkreten Grund braucht, um sich der Zukunft zuzuwenden und alles überflüssige Handeln zugunsten einfachen Lebens aufgeben will, dann liest man dieses Buch.

Gut also, dass in der Humboldt-Universität zu Berlin Menschen wirken, die wissen, dass Bahro sein Leben und seine gesamte Zeit opferte, um uns etwas zu sagen, was wir bald begreifen müssen. Und dass die Wissenschaft sich vorbereitet auf unsere dann zu spät und hektisch oberflächlich gestellten Fragen nach der „Logik der Rettung“. Wusste Bahro, dass er nicht viel Zeit haben würde, und uns sein ganzes Leben schenkte, um uns vorwärts zu bringen? Ein Werk, das drei bis vier Wissenschaftler benötigt, um es irgendwie zu fassen, eher festzuhalten, bevor die kurze Zeit der Zeugen des Werkes vergeht? Ein Werk, das überwiegend mit einem Reisekofferplattenspieler und einer Reiseschreibmaschine und einer Reparaturersatzschreibmaschine im Osten entstand? Sozusagen atomstromfrei bis auf die Schreibtischlampe, die Rudolf Bahro, Beethoven an der Wand und einen kecken kubanischen Freiheitskämpfer beleuchte, dessen Schalk, Naivität, Liebe, Mut und Wahrhaftigkeit Bahro prägten.

Ein Buch, das der oekom Verlag - als Tagungsband des Rudolf-Bahro-Symposiums an der Humboldt- Universität zu Berlin am 18.19. November 2005 - unter ISBN 3-86581-051-9 herausgebracht hat.

Maik Hosang, Kurt Seifert (Hrsg.)
Integration. Natur-Kultur-Mensch
Sozialökologische Innovationen für eine zukunftsfähige Lebensweise oekom Verlag, München, 24,80 €

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