Leseprobe:

Seltenes spüren. Gedichte

 


Ulrich Grasnick

Verlassene Bäckerei in Nogent le sec

I

Ich vermisse
den Duft des Brotes -
die Luft ist einsilbig
ohne ihn.

Ich vermisse
den Weg zum Bäcker,
zu den hellen und
dunklen Broten,
aufrecht stehend,
wie der Weizen im Feld.

Damals lag eine
Geborgenheit
im Geruch der Gassen,
der aus der Wärme
der Backöfen strömte,
hier, wo der Morgen
in einer Wolke aus Mehl
aufstieg.

II

Die Sonne hatte
ein Gesicht aus Marzipan
und glänzte im verschlungenen
Zauber der Brezeln.

Wo ist der Regenbogen
aus farbigen Glasuren,
das Brautpaar
auf den Stufen der Torte.

Der Ort hat
keinen Bäcker,
keinen Treffpunkt mehr
für unsere Morgengespräche
ü ber Sorgen und Freuden -
der Geruch der Bäckerei
nahm der Frühe
die Einsamkeit.



Peter Frank

Landschaft in der Nähe

Unter der kreisenden Stille
sind die Felder aufgeschlagen
wie Bücher. Unausdeutbar
die alten Schriften der Bäume.

Die Zäsuren der Knicks
behindern den Blick nicht,
geben ihm Halt, machen die
Landschaft erkennbar. Landschaft,

die keine Beweise braucht,
die Höhenflüge verabscheut,
sich an die Erde hält -
harte schwarze Furchen.

Pfützen bis zum Sommer.
Windräder, einzelne Gehöfte,
die Gatter schief. Immer
ein kleiner Wind in den Birken.

Günter Kunert

Kommunikation

Früher war alles ganz
anders. Nämlich so, wie morgen
das Heute sein wird. Dann
wird man staunen, wie sorglos
wir lebten, nämlich so,
wie die vor uns gestern
ihre Tage verlaufen ließen -
wie in eine brüchige Zisterne,
aus deren Schlamm
wir unser Mana schöpften.
Unsere Zeit ist zu sehr bemessen,
um einander mehr sagen zu können,
als daß wir einander
nicht verstehen. Das jedenfalls
haben wir als einziges
verstanden, aber bloß
soso.



Frank Wegner-Büttner

Im Känguruland

Glutrot der Stein.
In der Mittagshitze
vom Blinzeln müde.
Im Outback kein Schlaf.
Kein Aborigine weit und breit.

Nach Tagen plötzlich
schauen sie mir ins Gesicht,
einige Beutel voll Goldhälse.

Unsere Nachtschwärmer
kommen in der Dämmerung.
Hungrig nach Gras,
lichtscheu und ängstlich
bewachen sie ihre Weiden,
Feinde der Farmer.

 

Elisabeth Hackel

Als sie Zeit hatte

Als sie Zeit hatte
für ihr Klavier,
wollten die Finger
dafür nicht mehr taugen.

Als sie Zeit hatte
für ihre Bücher,
tanzten die Buchstaben
vor ihren Augen.

Als sie Zeit hatte,
endlich zu reisen,
war das Gepäck schon zu schwer.

Als Zeit war
für Umarmung,
war ihr großes Haus leer.



Hanna Fleiss

Brot, weißes, warmes Brot

Brot. Auf den Tisch gelegt
der Laib. Der Kruste Wohlgeruch.
Brot, weißes Brot.

Wie es war.
Erntezeit. Das Dorf in der Mark.
Spuren des Traktors. Damals ging ich
Den Feldweg, roch den betäubenden Duft
Des Korns. Wir banden die Garben,
Flochten Kränze, wirkten Herzen hinein.
Abends brannten die Feuer nahe
Der Linde. Wir sangen
Die Lieder der Bauern, brachen
Ihr Brot mit schwieligen Händen.

Am Stammtisch die Alten derweil
Raunten von Regen und Hagelstürmen,
Rinderpest und Gutsherrenzeiten.
Einer spielte Harmonika, wir tanzten
Den Reigen bis in die Mitternacht,
Bis uns die Hunde verbellten.

Brot, weißes, warmes Brot.
Der Kruste Wohlgeruch. Brot.
Auf den Tisch gelegt der Laib.

 

Charlotte Grasnick

Kirschen

Voll und dunkel
hingen die Äste
bis zur Erde hinab.

Im Juni kamen die Stare,
wild vor Begehren.

Etwas noch bargen
wir von der Süße
in uns.