Leseprobe:

Bis dein Blick Meer wird
. Gedichte


Peter Frank

Biike

Windgeschliffener Hügel.

Strohmann,
aufgerichtet über dem
Schlaf der Riesen.
Rauhreif im Bart.

Früh
dämmert Abend in den
Augen der Kinder &
riecht nach Teer.

Februar
fasst die Fackel mit
vereisten Fingern.

Unter roten Segeln,
von Rottgänsen umkreist,
fährt aus das Flammenschiff.

Herab stürzt
die brennende Takelage des
Winters.


Elisabeth Hackel

Potsdamer Platz

Verschnittener Himmel zerfällt
in gläserne Fassaden.
Kein Vogel singt uns frei.
Nestwärme nicht bezahlbar.
Fremd steh ich mir im Spiegellicht,
wo der Sohn mit tödlichem Heimweh stand
damals,
als hier Krähen
über die Mauer flogen
und die gefiederte Brücke uns trug.


Ulrich Grasnick

Versöhnungskirche

  Requiem II
Sprengung der Versöhnungskirche (Berlin-Mitte),
Bernauer Straße im Januar 1985

Als ihre Schatten
sich in Staub
auflösten,
die Vögel
in der Leere
ihre Nester
suchten,
das Kreuz
gekreuzigt,
im Aufschlag
dröhnendes
Verlassensein.

Die Weitsicht
für die Zielfernrohre
groß genug.
Begradigt
für den Rundumschlag,
bleibt jetzt
dem Fadenkreuz.
ein weiter Raum.

Allein
der Himmel,
ein unberührtes Blau.

 

Alfred J. Signer

Patagonien

Schafgebeine am Fusse
des Kondorfelsens,
ausgeweidet vom Puma und
andern Aasfressern.

Blau-weiss gefärbt,
an die Pionierzeit erinnernd,
steht der alte Reisebus
windgeschützt neben
den Stallungen der
Estancia Oriental.

Unbedeutend klein
neben dem Cerro Leòn
liegt sie in der grünen Oase,
geduckt im Schutze eines Hügels.

Einzig ein ruppiges Strässchen
als Verbindung zur andern Welt.
Weit entfernt von der Ruta 40,
die wie eine Schnur die Pampa
Santa Cruz’ durchmisst.

Am 47. Breitengrad Süd
unter den Andengipfeln
darben wache Menschen,
vom Winde nicht zermürbt.

Ewiger Lauf der Dinge
verlangsamt im Takt der Jahre.



Marlies Schmidl

Paris

Der Abend schüttet
Farbe in die Seine,
Menschen am Ufer,
Worte.
Schweigen,
Hände schenken.

Geigenklänge
schweben
ü ber dem Fluß,
im Dunkel der Nacht
fahren Schiffe
still vorüber.

Paris,
am Morgen erwacht
der Himmel über dir,
der Eiffelturm
hat längst sein Licht
gelöscht.

Der Clochard
kann ruhig weiter
schlummern.
Die erste rosarote
Wolke
spitzt die Lippen.



Marko Ferst

Herbstbögen

In unzähligen Keilen
stürmen sie zum Ziel
ein riesiger Wirbel
ü ber dem weiten Schilfsee
für ein paar Tage
herbstliches Quartier
der Blessgänse

Gespannt
schwarze, federleichte Netze
in den Fadenbeuteln
verfangen sich Bartmeisen
andere kleine Flieger
gesammelt in weißen Säckchen
gelistet wird ihr Zustand
ein winziger Ring verknüpft
in die kleine Tütenwaage kopfüber
und ab geht es
auf eigenen Flügeln

Beringte Funde
bei verschiedenen Vögeln
weisen auf
weit entfernte Landschaften
Züge über viele Grenzen hinweg
und wo Bestände wachsen
oder den roten Listen
letzte Flugkünste folgen
Farben und Gesänge
hinter den Horizonten
verlöschen




Kathrin Schulz

Mein Land

Linien der Ferne
Rhythmen der Zeiten
säumen den Horizont

Geräusche der Stille
kühle Bögen
Taumel herbstlicher Blätter
licht und rot

blinkendes Wasser
Gemurmel der Tiefe
klar

wie das Grau der ziehenden Gänse